Sind die Leser noch zu retten?
Der „Spiegel“ wagte ein interessantes Experiment: Die Journalisten fragten ihre Leser um Rat, was sie anders machen sollen. Das Ergebnis war enttäuschend: Befriedigende Antworten blieben aus, weil die eigentlich wichtigen Fragen leider nicht gestellt wurden
Die Zeitung ist tot, sagte die Programmiererin, als wir uns auf einer der Netz-Konferenzen in Berlin trafen. Niemand brauche mehr Redaktionen, sagte sie zu mir, dem Redakteur. Das was ich da mache, sagte sie, das sei doch Pferdekutsche, Dampfmaschine, Schallplatte – von der Geschichte überholt, zu langsam, zu träge, zu teuer, zu unmodern für die mobile Welt von heute. Die Zukunft trage Namen wie Google, Facebook, Twitter, Buzzfeed, Reddit, Rivva, Cloud.
Eins war allerdings dann doch anders als sonst. Sie fragte plötzlich: „Wie arbeitet so eine Redaktion eigentlich?“
Das war neu. Und es ist genau die Frage, die bislang kaum einer vielen, vielen Kritiker mal stellt. Offenbar, weil es sie nicht interessiert. Wahrscheinlich, weil sie gar nicht so genau wissen wollen, wie Redaktionen und der Journalismus von heute funktionieren – die Recherche könnte ja die eigenen Vorurteile untergraben.
Dieses Problem ließ sich gerade im Blog und in den Foren bei „Spiegel Online“ beobachten. Dort wurde gerade der Versuch einer Debatte über die Zukunft der Zeitung beendet. Die erhellendsten – weil faktenbasierten – Argumente und Vorschläge kamen allerdings von Profis wie Medienforscher Michael Haller, Reporter Daniel Drepper oder Debatteninitiator Cordt Schnibben. Nicht von den Lesern. Das war leider erwartbar. Ein Sterne-Koch fragt doch auch nicht seine Gäste, ob er mehr Oregano verwenden oder künftig Mexikanisches servieren soll. Er fragt allenfalls, ob es geschmeckt hat und der Service okay war.
Kaum einer der Laien-Totenredner auf die Medienbranche hatte sich die Mühe der Detailarbeit oder der Differenzierung gemacht. Da wird Printprodukten pauschal vorgeworfen, sie würden vor allem nur langweilige DPA-Nachrichten abdrucken – was in dieser Verallgemeinerung nicht stimmt. (Zumal, im Internet scheint das kein Problem darzustellen: „Spiegel Online“ etwa lebt gut davon, Agenturberichten eine neue Überschrift und einen neuen Vorspann zu verpassen.) Zugleich aber wird kritisiert, dass es zu viele meinungsgefärbte, szenische Geschichten in Zeitungen gäbe – statt der puren Fakten (wie in nüchternen Agenturmeldungen).
Sie werfen Journalisten vor, zu wenig auf Randgeschichten und Minderheitenthemen zu achten und zu boulevardesk zu sein. Gleichzeitig sollen sie sich ein Vorbild nehmen an Rivva, Reddit oder Google News – Nachrichtensammler, die sofort all das nach unten aussortieren, was keine Klicks, Tweets oder Likes erhält. Wo Relevanz mit Popularität und Quote gleichgesetzt wird – das Prinzip des Boulevards.
Sie wollen, dass Zeitungen ihnen genau das liefern, was sie wollen, und nicht mehr. Wer ein Lied wolle, kaufe ja auch nicht gleich das ganze Album auf iTunes, so die Entgegnung. Zugleich wollen die Leser aber auch, dass ihnen die Medien Neues erzählen und sie überraschen. Wie passt das zusammen?
Und überhaupt, warum soll man dafür bezahlen? Das Geld wird doch nur verwendet für Angestellte, die in irgendeinem Büro sitzen und entscheiden wollen, welche Nachrichten die Welt erzählt. Das gleiche könne die Cloud – Millionen Facebook-Freunde und Fremde – im Netz doch auch, sogar kostenlos und besser (weil pur und unverdorben durch die Bearbeitung durch Profijournalisten).
Es gibt für diese Behauptung ein Bild vom Petersplatz in Rom, das diesen Wandel illustrieren soll: Es zeigt den Platz im Jahr 2013, dem Jahr der Wahl von Papst Franziskus, und ist erleuchtet von tausenden kleinen Handy- und Kameradisplays. Wozu braucht es noch Journalisten, wenn jeder einer sein kann, heißt es dann.
Weil Journalismus eben nicht nur heißt, ein Bild aufzunehmen, sondern sich auch ein Bild zu machen. Keines dieser Smartphonefotos verrät mehr darüber, wer dieser Franziskus eigentlich ist, warum er gewählt wurde, was seine Agenda ist, wie die Kurie darauf reagiert – und keines erklärt, warum all diese Fragen auch Nicht-Katholiken interessieren sollten.
Journalisten haben Erfahrung, eine lange Berufsausbildung und sie nehmen sich jeden Tag Zeit zum Recherchieren, Aussortieren und Einordnen, damit es ihr Leser nicht muss. Natürlich kann inzwischen jeder im Internet herausfinden, warum das Schulsystem im Finnland besser sein soll als in Bayern, was sie dort bei der Lehrerausbildung oder der Zusammenstellung der Stundenpläne anders machen. Und natürlich könnte jeder selber nachschlagen, wo es überall die Pkw-Maut gibt, welchen Effekt sie in den jeweiligen Ländern hatte, wie sie sich in das dortige Steuersystem einfügt. Aber das kostet viel Zeit und Erfahrung – die kaum einer wirklich hat. Zumal, wenn er überschwemmt wird von Hunderten anderen Nachrichten und Tweets. Journalisten nehmen dem Normalmenschen diesen Aufwand des Selektierens und Recherchierens ab. Genauso wie Anwälte einem das Studium des Rechts abnehmen oder Mechaniker das Erlernen der Autoreparatur.
Auch die Cloud – die anonyme Arbeitskraft der Masse im Internet – macht diese Dienstleistung nicht überflüssig. Wenn viele jeweils ein Stück Information besitzen, entsteht daraus noch lange keine Geschichte. Irgendwer muss es ordnen, systematisieren, Dopplungen und Irrelevantes aussortieren. Zumal: Nur weil jeder ein BGB im Schrank hat, haben noch lange nicht alle einen Überblick über die Rechtslage. Nur weil jeder Skalpelle kaufen kann, ersetzt das noch keine Chirurgen. Nur weil fast jeder eine Kaffeemaschine hat, macht das Cafés nicht überflüssig. Und nur weil viele einen Computer mit Internet haben, ersetzt das noch lange nicht Journalisten.
Nun ist es nicht zu leugnen, dass Printmedien in der Krise stecken – Zeitungen verlieren an Auflage und mehr noch an Anzeigeneinnahmen, die Leser greifen lieber zu Tablet und Smartphone statt zu Papier. Aber das ist vor allem eine Frage der Verbreitung und des Marketings. Über Vertriebswege und Erlöse lohnt es sich zu diskutieren und sie auszuprobieren. Denn da hat keiner eine befriedigende Antwort, wie sich künftig übers Netz genügend Geld einnehmen lässt, um damit hauptberufliche Reporter, Redakteure oder auch Blogger zu finanzieren. Guter Journalismus kostet erst einmal Geld, bevor er Inhalte produzieren kann. Umgekehrt wird es auf Dauer nicht funktionieren – wie die Beispiele „Financial Times Deutschland“, „Die Woche“ oder „Frankfurter Rundschau“ zeigen.
Nur zur Erinnerung: Auch die vom Netz hochgelobte Zeitung „The Guardian“ hat vergangenes Jahr 30 Millionen Pfund (35 Millionen Euro) Verlust gemacht. Wie soll das Verleger oder irgend jemand anderen ermutigen, sie als Vorbild zu nehmen?
Antworten bitte an den Autor.
Falk Heunemann hat die Zeitungskrise am eigenen Leib erfahren. Er war Leitartikler der „Financial Times Deutschland“ – bis zu deren Ende am
7. Dezember 2012.
Achim am 22. August 2013
"Journalisten nehmen dem Normalmenschen diesen Aufwand des Selektierens und Recherchierens ab."
Volle Zustimmung. Das wäre eine sinnvolle Aufgabe. Doch wird sie viel zu selten wirklich ernstgenommen... so schreiben eigentlich alle großen Zeitungen in der Euro-Krise hauptsächlich die Stereotypen von den faulen Südländern auf, die dem hart arbeitenden Deutschen das Geld aus der Tasche ziehen wollen ohne einmal zu gucken, ob das wirklich stimmt und was daran vielleicht nicht stimmt.
Allein die Financial Times viel damals positiv auf und hat z.B. Arbeitszeiten oder Renteneintritte verglichen aber auch erklärt, dass das Geld nicht geschenkt wurde, sondern geliehen und zwar gegen Zinsen, so dass der hart arbeitende Deutsche bis jetzt einige Millionen an Zinsen als Gewinn einstreichen konnte (da die verlangten Zinsen deutlich über dem liegen, was Deutschland als Zinsen zahlt)...
Und auch letztens bei dem "Skandal" um den "Veggie Day" der Grünen haben eigentlich alle Medien nur von der Bildzeitung abgeschrieben... nur bei der Zeit konnte man ein paar Tage später (nachdem man auch dort erstmal die Bild-Meldung hektisch weiter verbreitet hat) lesen, was es wirklich damit auf sich hatte. Deutlich früher waren die Hintergründe im Bildblog zu lesen...
Wenn die Journalisten ihre Aufgaben so sträflich vernachlässigen und eben um der Quotenwillen, auch bei "seriösen" Redaktionen, schnell mal Bild- oder Stammtisch-Meinungen ungefiltert übernehmen, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn die als unnütze Kostentreiber wahrgenommen werden. Sicher gibt es da rühmliche Ausnahmen. Aber die gehen leider allzu häufig in der Flut der Agenturmeldungen und unreflektierten Kopien auf den Nachrichtenportalen unter...
Ob das in der gedruckten Ausgabe besser ist, oder nicht, kann ich nicht beurteilen... Zeitungen fand ich schon immer schrecklich unpraktisch. Und wenn ich heute mit der Bahn fahre muss ich sagen, dass ich Zeitung lesende Menschen schon als Belästigung empfinde, da sie alle paar Minuten mit breit ausgestreckten Armen herum fuchteln und beim Aussteigen den Papiermüll da lassen. Das Zeitungsformat ist ganz sicher ein Kandidat für eine Tradition, die abgeschafft gehört.
Andreas Theyssen am 22. August 2013
Allein schon aus persönlichen Gründen nichts gegen die "Financial Times Deutschland" - aber glücklicherweise war sie nicht das einzige Blatt, das die Stereotypen von den faulen Südländer konterkariert hat. Das Gros der deutschen Tageszeitungen hat durchaus sachlich über die Hilfen für Griechenland etc. berichtet.
Jürgen Mustermann am 22. August 2013
Nicht, weil fast alle OC-Autoren ehemalige FTD-Journalisten sind und ich ein schmeichelndes Kompliment machen möchte, sondern einfach, weil ich es immer so empfand: Die FTD war für mich die einzige (deutschsprachige) Zeitung, die (leider vor allem nur wirtschaftliches, aber immerhin) Zeitgeschehen mit tiefgründiger Analyse, kritischer Bewertung (Hinterfragen) und sachkundiger Aufbereitung (inclusive genialer Visualisierung) verband - zudem ihren Autoren eine größere Bandbreite "politischer" Ausrichtung erlaubte als z.B. die m.E. marktradikale, neoliberale FAZ - und ich habe ihre Einstellung sehr bedauert.
Das Papierformat mag massiv an Beliebtheit verlieren (das selbe wird seit Jahrzehnten über Bücher behauptet, aber ich lese noch immer lieber die Version einschließlich haptischer Erfahrung als ein eBook, wofür zudem keine Akkuladung erforderlich ist). Aufgrund der typischen Aktualisierungsfrequenzen im Segment Zeitungen ist ein Online-Medium da sicher auch mit deutlich mehr Vorteilen im Vergleich zu Papier verbunden, als bei "statischen" Erzeugnissen wie einem Roman o.ä.
Die Kernaufgabe von Journalisten/Redaktionen aber, so wie sie m.E. die FTD ideal wahrgenommen hat (sie hätte nur leider dann auch noch die thematische Breite der FAZ haben sollen) wird nach meinem Gefühl nie verschwinden, also ihre Existenzberechtigung (einschließlich der Berechtigung für eine Vergütung) nicht verlieren, und ich sehe sie von der Mehrzahl der News-Sites, Blogs etc. (geschweigedenn der "Cloud" - aka "Schwarmintelligenz" auf BILD- oder RTL2-Niveau) auch nicht nur ansatzweise erfüllt!
Kopf hoch... Sie werden gebraucht! ;-)