Wolf im Schafspelz
John LeCarré hätte sich den Plot um die Affäre Bo Xilai nicht mitreißender ausdenken können. Ein Mord, eine Villa an der Cote d’Azur, Jagdsafaris in Afrika – in dem Drama um den gefallenen Politstar aus China fehlt kein Politthriller-Klischee. Ausgedacht hat sich den Plot allerdings die chinesische Führung
Heute geht in Beijing die Vernehmung des früheren Politstars Bo Xilai zu Ende. Spätestens mit der Urteilsverkündung, für Anfang September erwartet, soll das Thema nach dem Willen der chinesischen Führung endgültig vom Tisch sein. Und Chinas kommunistische Partei als Anti-Korruptions-Kämpfer Profil gewinnen.
Der Fall ist prall gefüllt mit Irrungen und Wirrungen. Bo wird der Prozess wegen Korruption gemacht, sein Frau ist bereits verurteilt worden wegen Mordes an einem britischen Geschäftspartner. In den vergangenen Tagen wurden weitere absurde Details aus dem Leben und Schaffen der Bo-Familie bekannt. Ein vermögender Freund, dem Bo Xilai einst den Karrierestart geebnet hatte, hat jahrelang die astronomischen Kreditkartenrechnungen des Sohnes Bo Guagua übernommen. Überdies hat er Guagua die Einladung von rund 40 Studienbekannten aus den USA nach Beijing nebst Unterkunft in Luxusherbergen finanziert. Bo, der früher stets bemüht war, den bescheidenen Lebensstil seiner Familie zu betonen, tut plötzlich so, als seien Millionen-Yuan-Beträge für ihn und seine Gattin Kleinkram, mit denen er sich gar nicht erst abgeben müsse. Eine Villa mit Pool in Cannes, als finanzielle Sicherheit für Guagua auf Kosten reicher Freunde angeschafft, wechselte regelmäßig den offiziellen Besitzer, um Steuern zu sparen und keinen Zusammenhang mit Bo aufkommen zu lassen.
Selten zuvor bekam die Öffentlichkeit so detaillierte Einblicke in die Abgründe des chinesischen Systems, die Methoden des “Guanxi”, in der jede Gefälligkeit unter Bekannten und Partnern eines Tages erwidert werden sollte. All dies ist wohl kalkuliert von der jetzigen Führung: Der Prozess soll die Ernsthaftigkeit des unter dem seit März amtierenden Präsidenten Xi Jinping gestarteten Anti-Korruptions-Vorstoßes untermauern. Gleichzeitig soll der Sympathieträger Bo, der als Vorkämpfer linker Ideale galt, bei seinen immer noch zahlreichen Anhängern vorsichtig entzaubert werden. Und nebenbei soll mit offiziellen Live-Tweets vom Prozess auch noch der Eindruck eines transparenten Verfahrens vermittelt werden.
Kleiner Exkurs: Der Prozess um die Vierer-Bande rund um Mao Zedongs Gattin Jiang Qing, mit dem die Bo-Verhandlung häufig verglichen wird, wurde schon 1980 live im Fernsehen übertragen. Inzwischen ist auch die Selektivität der Tweets bekannt geworden. Und über die Offenheit des Prozessausgangs gibt es in China wenig Illusionen.
Trotz zahlreicher Verhaftungen und Anklagen gegen Regierungsvertreter auf unterschiedlichen Ebenen, trotz des Verbots teurer Bankette und luxuriöser Geschenke: Xis Kampf gegen die Korruption ist nicht glaubwürdig. Zahlreiche Veröffentlichungen westlicher Medien haben in den vergangenen Monaten das engmaschige Netzwerk zwischen Spitzenpolitikern und ihren wohlhabenden Brüdern und Schwestern, Schwagern und Nachkommen aufgezeigt. Ein chinesischer Menschenrechtler, der kürzlich die Offenlegung von Vermögen forderte, wurde verhaftet. Überhaupt hat die neue Führung im vergangenen halben Jahr einmal mehr einen extrem rigiden Kurs vorgelegt. So zählen Menschenrechte und Pressefreiheit laut einem Parteidokument zu den Gefahren, die es zu bekämpfen gilt. Allein in den vergangenen vier Tagen wurden fünf bekannte Blogger verhaftet, um die sozialen Medien zu “reinigen”.
Am Ende geht es im Prozess um Bo einmal mehr um das vorherrschende Motiv der chinesischen kommunistischen Partei: ihre Macht zu zementieren.
Claudia Wanner ist während der sechs Jahre, die sie aus China berichtet, auch Bo Xilai begegnet, der durch seine eloquenten Auftritte stets ein Gegenentwurf zur klassisch-hölzernen politischen Kaste schien. Kein Wunder, dass der Sohn eines der engsten Gefolgsmänner von Mao Zedong trotz all seiner kriminellen Machenschaften bis heute viele Fans in der Volksrepublik hat – und zu einer echten Gefahr für die jetzige Parteispitze hätte werden können.
Jürgen Mustermann am 29. August 2013
Liebe Frau Wanner, im letzten Teil Ihres Artikels zum Prozeß um Bo Xilai geht es dann plötzlich viel breiter um die gesellschaftliche/politische Entwicklung in China. Vor zwei Wochen hatten Sie unter dem programmatischen Titel "Keine Angst vor China!" ja noch sehr euphorisch geklungen, obwohl (weil?) Sie schon einige Jahre persönliche Erfahrungen vor Ort besitzen (wenngleich ich HongKong nicht mit China gleichsetzen oder als für China typisch betrachten würde); Sätze wie die folgenden, wenn Sie vor diesem Hintergrund selbst aus Ihrer Feder kommen, klingen für mich aber schockierend: "So zählen Menschenrechte und Pressefreiheit laut einem Parteidokument zu den Gefahren, die es zu bekämpfen gilt."
Wie paßt dies zu Ihrem in früheren Formulierungen wie "die *vermeintliche* Gefahr aus dem Osten"? Ist eine politische Führung, die Menschenrechte und Pressefreiheit zu den zu bekämpfenden Gefahren zählt, nicht auch für Sie eine Horrorvorstellung?
Claudia Wanner am 30. August 2013
- Hongkong ist natuerlich nicht China, schon gar nicht mit Blick auf Pressefreiheit und Menschenrechte. Hongkong liegt dann aber doch so nah an der Volksrepublik - sowohl raeumlich als auch kulturell - dass es moeglich ist, von hier aus sehr regelmaessig in selbige zu reisen. Und hier sehr viele Menschen zu treffen und zu sprechen, die dort leben.
- Euphorie ist mir fremd. Mit dem Stueck "Keine Angst vor China" wollte ich die Chinesen keineswegs endlich als Gutmenschen bekannt machen, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass der unablaessige Aufstieg der Volksrepublik keine ausgemachte Sache ist, da das Land mit einer Vielzahl von Problemen zu kaempfen hat. Angst ist grundsaetzlich ein schlechter Ratgeber, auch die vor der "gelben Gefahr". Besser: Chancen ergreifen, Einfluss nehmen, wachsam bleiben.
- Um vorzubeugen: Auch wenn der Prozess gegen Bo politisch motiviert ist, halte ich ihn nicht fuer unschuldig.
- Mit der neuen Fuehrung waren einige Hoffnungen auf eine vorsichtige Oeffnung verbunden. Dokumente, wie das oben erwaehnte, lassen anderes befuerchten. Dabei bleibt zu beruecksichtigen: China ist politisch nicht der monolithische Block, als der das Land von aussen oft gesehen wird. Innerhalb der kommunistischen Parteifuehrung gibt es Stroemungen von extrem links bis liberal. Ein solches Dokument kann hier immer auch eine Massnahme sein, um - zum Beispiel im Vorfeld des Prozess gegen den beliebten, extrem linken Politikers Bo Xilai - Meinungen einzufangen. Die Verhaftungen der vergangenen Tage von mehreren Bloggern weisen aber in eine andere Richtung.
Jürgen Mustermann am 30. August 2013
@Claudia_Wanner: Danke für Ihre differenzierte Antwort! :)