Ein „Stern“ voller Stars

Von Andreas Theyssen am 4. Oktober 2013

Jeder Mensch träumt davon, einmal 15 Minuten berühmt zu sein. Nur: Wie schafft man das? Die Mitarbeiter einer deutschen Illustrierten haben sich jetzt etwas ganz besonderes einfallen lassen

Fernsehen bildet doch. Nur einmal „Dschungelcamp“ oder „Big Brother“ gesehen, und schon weiß man, was C- oder D-Promis sind. Dazu zählen Damen (wieso eigentlich nie Herren?), die einmal mit einem A- oder B-Promi liiert waren oder mit ihm ein Verhältnis hatten, vorzugsweise in einem Teppichlager oder einer Besenkammer, oder auch Leute, die in irgendeiner Castingshow auf Platz fünf gelandet sind. Sie waren einmal – gemäß Andy Warhols These – 15 Minuten berühmt. Seit diesem Donnerstag wissen wir, dass auch Lesen oder zumindest Bilder gucken bildet. Denn nun wissen wir, was S-Promis sind.

„Prominente fordern: Das muss die Politik jetzt anpacken!“, lesen wir auf dem Cover der aktuellen Ausgabe der Illustrierten „Stern“. Nun gut, normalerweise liest man solche Promi-Testimonials vor einer Bundestagswahl und nicht danach. Aber vielleicht waren die Ausgaben vorher ja schon voll, und man wollte die Geschichte nicht wegwerfen. Das sind immerhin neun Seiten voller teurer Fotos.

Promi-Testimonials sind was Tolles. Die Stars haben auch nicht westlich Klügeres zu sagen als der durchschnittliche Stammtisch in Pulheim-Stommeln. Aber wenn der durchschnittliche Stammtisch in Pulheim-Stommeln die Star-Statements liest, darf er sich intellektuell aufgewertet fühlen und sagen: Jawoll, so isses. Sagt der XY schließlich auch.

Zwischen die Promis gemogelt

Star-Testimonials haben allerdings den Nachteil, dass darin meist die immergleichen Stars auftauchen, nämlich solche, die irgendwie total sozialkritisch sind oder auch total engagiert, ne. Da macht die „Stern“-Fotostrecke keine Ausnahme. Der notorische BAP-Sänger Wolfgang Niedecken findet illegales Downloaden oberuncool und Schauspielerin Meret Becker ist irgendwie total betroffen, dass in Syrien Kinder sterben. Wer wollte da widersprechen?

Und als wir so durch die gesammelten Stammtisch-Weisheiten der Prominenz blättern, stoßen wir auf Porträts von Leuten, die uns bekannt vorkommen. Allerdings nicht durch Bühne, Film und Fernsehen, sondern durch Hamburger Kantinen und Berliner Journalistenpartys. Denn zwischen all diese so fürchterlich betroffenen Promis haben sich „Stern“-Mitarbeiter gemogelt: vom Herausgeber über die Redakteurin bis zum Poststellen-Mitarbeiter.

Zuerst sind wir irritiert, dann aber beruhigt. Denn die prominenten „Stern“-Mitarbeiter halten das Niveau der anderen Promis und des Stammtischs von Pulheim-Stommeln. Da echauffiert sich die eine, dass „das Schwimmbad für eine Stunde 5,90 Euro kostet“. In Hamburg ist das sicherlich ein Massenproblem, aber in Finsterwalde? Da mokiert sich der andere, dass „geldgierige Vermieter und sogenannte Investoren meinen geliebten Stadtteil zerstören“. In Hamburg-Ottensen mag das so sein, aber auch in Wanne-Eickel-West? Und ein dritter ist empört, dass „Angela Merkel Europa abgeschrieben hat“. Dass wir die Kanzlerin ständig auf irgendwelchen Euro-Rettungsgipfeln sehen, wo sie sich die Nächte um die Ohren schlägt, um Europas Währung und die EU zu erhalten – ist das nur unsere selektiv-subjektive Wahrnehmung?

Aber wir wollen vor lauter Petitessen nicht den Blick für das große Ganze verlieren: nämlich die Geburt des S-Promis. Sich selber zum Prominenten zu küren, in Hunderttausenderauflage, sich dadurch nicht nur 15 Minuten, sondern eine ganze Woche Berühmtheit zu sichern, dass zeugt von Chuzpe. Respekt, „Stern“-Mitarbeiter, das ist wahrhaft heldenhaft.

Andreas Theyssen, Autor in Berlin, ist dank eines Ein-Euro-Abos der Mitbewohnerin immer noch „Stern“-Mitleser. Er schreibt die OC-Kolumne „Mein Held der Woche“ jeden Freitag.

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