Das Problem von Julian Assange
Die US-Justiz wird den Wikileaks-Guru nicht belangen. Er hat nun keinen Grund mehr, sich in der equadorinischen Botschaft in London zu verstecken. Doch reicht sein Realitätssinn aus, dies zu erkennen?
Nun hat Julian Assange keine Ausreden mehr: Sein Feindbild, der böse Big Brother aus Washington, der den Wikileaks-Guru vernichten und die Pressefreiheit abschaffen will, er hat sich endgültig in Luft aufgelöst – wenn er denn je existierte.
Übereinstimmend berichten derzeit amerikanische Medien: Das US-Jusizministerium gibt einer Anklage gegen Assange keine Chance. Sicher, er hat mit seiner Online-Plattform hunderttausende US-Geheimdokumente veröffentlicht. Aber das ist nicht strafbar. Sonst müsste die Staatsanwaltschaft auch andere Medien anklagen. Denn die „New York Times“, der englische „Guardian“ oder auch der „Spiegel“ veröffentlichten Wikileaks-Dokumente. Wikileaks wird also rechtlich behandelt wie andere Medien auch. Angeblich spricht das Ministerium daher vom „New York Times Problem“.
Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob dies tatsächlich für den Staat ein Problem ist oder vielmehr ein Fundament der Demokratie: Medien – egal ob etabliert oder nicht – müssen Geheimdokumente veröffentlichen können, um damit der Öffentlichkeit einen Nutzen zu erweisen. Sofern diese Dokumente tatsächlich von Nutzen sind. Und nicht zum Beispiel Leben von Informanten gefährden, wie einige der Wikileaks-Dokumente.
Für Assange und seine Jünger ist es aber sehr wohl ein Problem. Ihr ganzes Gedankengebäude, ihre ganze Weltsicht basierte schließlich auf der Annahme, die USA würden Kritiker jagen und töten, sobald sie ihrer habhaft werden. Deshalb versteckt sich Assange noch immer in der ecuadorianischen Botschaft in London. Obwohl es nicht einmal eine Anklage in den USA gab, sondern nur einen Haftbefehl aus Schweden wegen zweier Vergewaltigungsvorwürfe. Seine Ausrede: Die Schweden haben ihn nur angeklagt, damit er England verlässt und er ausgeliefert werden kann an die USA. Als wenn Großbritannien ein distanzierteres Verhältnis zu den Amerikanern hätten als Schweden. Als wenn die Justiz in Europa sich von den USA sagen lässt, wen sie verurteilen und abschieben sollen.
Wikileaks ist nicht Watergate
Aber das Abwägen von Argumenten ist ja nicht gerade eine Stärke von Verschwörungstheoretikern. Für Assange und seine Vergötterer war diese Un-Kausalkette praktisch. Ihr Idol galt plötzlich als Staatsfeind Nr. 1 einer Supermacht, er war der Rebell, der Revolutionär. Sie trugen Guy-Fawkes-Masken wie der Anarchist in dem Film „V wie Vendetta“ und fühlten sich als Umstürzler, selbst wenn die Masken nur ein Merchandising-Produkt eines Hollywood-Blockbusters sind und die Verkaufsgewinne an den US-Filmkonzern Warner Bros. fließen.
Sie hielten Assange für den modernen Robin Hood, obwohl nicht er die Daten der US-Regierung gestohlen hatte, sondern der US-Soldat Bradley Manning (inzwischen Chelsea Manning). Manning jedoch geriet im Schatten von Assange nahezu in Vergessenheit. Die Assange-Anbeter hielten die Wikileaks-Dokumente für mindestens so wichtig wie die Watergate-Affäre, die Präsident Richard Nixon stürzte. Obwohl in hunderttausenden Dokumenten nur erschreckend banale Einschätzungen der US-Botschaften über andere Politiker standen. Und sie feierten Wikileaks als Sieg der Transparenz – dabei ist die Plattform selbst ausgesprochen intransparent, was ihre Finanzierung und und Entscheidungsstrukturen betrifft.
Nun müssen sie einsehen: Die US-Regierung trachtet Assange doch nicht nach dem Leben (wenn sie es überhaupt je tat). Er hat nun keinen legitimen Grund mehr, sich in einer Botschaft zu verstecken und sich britischen Auslieferungsurteilen zu widersetzen. Er muss sich endlich den schwedischen Behörden stellen, damit die Vergewaltigungsvorwürfe aufgeklärt werden können.
Der Sieg des Rechtsstaates über seine Kritiker
Dass die Amerikaner nun keine Anklage gegen Assange erheben, ist der Sieg des Rechtsstaats über seine Kritiker. Die US-Regierung hat nach langer Prüfung eingesehen, dass vor einem unabhängigen Gericht eine Anklage nie durchbekommt, sie würde sich mit einer Niederlage nur öffentlich blamieren.
Dass der Rechtsstaat lebt, hat sich schon bei der Verurteilung von Manning gezeigt. Seine Strafe ist hart, aber nicht unangemessen, bedenkt man, dass Manning freiwillig Soldat und damit Staatsangestellter wurde, einen Eid geleistet hatte, dennoch hunderttausende Dokumente weitergab – und dies dann auch gestand. Er muss dafür nicht auf den elektrischen Stuhl, er muss auch nicht lebenslänglich hinter Gitter, sondern kann schon in acht Jahren freikommen. Das Strafmaß muss niemandem gefallen. Aber es ist mindestens nachvollziehbar und rechtsstaatlich.
Natürlich kann man als das weiter leugnen. Man könnte es für einen Trick halten, eine Falle, ein Ablenkungsmanöver, um doch noch an Assange heranzukommen – und ihn dann zu meucheln. Nur wer das tut, überschätzt die Bedeutung, die Assange noch hat, für die Amerikaner wie für die Welt. Er ist, wenn er weiter macht, nur ein eingeschnappter Realitätsverweigerer, der weiter schreiend sich auf den Boden wirft, damit ihn nur jemand beachtet. Aber damit wirkt er für die Zuschauer bald nur noch lächerlich und langweilig.
Falk Heunemann, Autor in Hamburg, schreibt die OC-Kolumne „Auf einen Klick“ jeden Donnerstag.