Mit eigenem Ausschuss ins Abseits
Das Netz jubelt über den neuen Internetausschuss im Bundestag und jammert, dass es in der Regierung kein eigenes Ministerium bekommt. Als wenn das den Frauen und der Umwelt etwas genutzt hätte
So richtig wusste das Netz in den letzten drei Tagen auch nicht, was es wollte: Auf der einen Seite jammert es über die neue Bundesregierung: Sie habe das Internet ja zu wenig berücksichtigt, ein eigenes Ministerium wäre Pflicht gewesen. Und dann wieder Jubel, weil die Koalition im Bundestag einen Netzausschuss bildet, womöglich.
Nun ist es nicht unbedingt erstaunlich, dass die Internetzer uneins mit sich selbst sind. Es überrascht vielmehr, wie fixiert sie auf Titel und Institutionen sind – statt auf Inhalte.
Nehmen wir doch mal ihre Klage, dass die Zuständigkeiten für das Internet auf mehrere Ministerien verstreut ist: Woher der Glaube stammt, dass ein einzelnes Ressort sich effektiver um ein Thema kümmert, ist rätselhaft. Man nehme zum Vergleich nur mal das Umweltministerium: Es wurde 1986 gegründet, nur wenige Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Der damalige Kanzler Helmut Kohl wollte so zeigen, dass er sich kümmere – und besorgte Konservative keinen Grund mehr haben, die Grünen zu wählen. Mit Erfolg: Die West-Grünen flogen 1990 aus dem Bundestag. Besetzt wurde das Ministerium zunächst mit Walter Wallmann, der es aber nur ein Jahr dort aushielt. Seine wichtigste Hinterlassenschaft: das Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln. Später übernahm eine gewisse Angela Merkel das Ressort. Der Atomkraft im Land hat das nicht geschadet.
Oder Frauen: Seit 1953 war für sie ein eigenes Ministerium zuständig. Geleitet wurde es natürlich zunächst nur von Männern, 15 Jahre lang. Und es dauerte bis 1977, bis ein Gesetz beschlossen wurde, wonach eine Frau selbst entscheiden darf, ob sie arbeiten geht. Bis dahin musste sie sich ihrem Ehemann unterordnen.
Tatsächlich nutzt es also gar nichts, wenn für irgendein Problemkomplex ein extra Ministerium gegründet wird. Im Gegenteil: So fühlen sich alle anderen Ressorts nicht mehr dafür zuständig. Insofern ist die nun viel kritisierte Verstreuung der Internetzuständigkeiten in der neuen Bundesregierung in Wahrheit förderlich für das Netz.
Denn was Internet ist, lässt sich tatsächlich kaum fassen. Geht es um die Hardware, also im Kabel und Funkmasten, dann passt dies in der Tat am besten in das Ressort, das sich um Infrastruktur und Regionalentwicklung kümmert. Für den neuen CSU-Minister Alexander Dobrindt ist es letztlich unerheblich, ob er eine abgelegene Region an eine Autobahn, an die Schiene oder an das Internet anschließen muss. Dafür müssen Trassen geplant und gebaut werden, es geht um Baurecht, Raumordnung und Bedarfsplanung. Dafür muss er sich weder im Verbraucherschutz noch im Urheberrecht auskennen – wie es in einem „Internetministerium“ nötig gewesen wäre.
Umgekehrt sind Rechtsfragen im Justizministerium bestens aufgehoben. Das Abmahnproblem betrifft nicht nur Nutzer des Netzes. Welche Ansprüche generell ein Urheber haben sollte – und was der Allgemeinheit zugänglich sein muss – das sollten Fachleute für Rechtsfragen abwägen, keine Bauleute, Ex-Polizisten oder ehemalige Parteisekretäre.
Oder wäre es besser, wenn dieser Bereich einem Minister untergeordnet wäre, der sich qua Jobbeschreibung für die Wirtschaft stark machen soll – wie der neue Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel? Internetwirtschaft ist schließlich nicht nur der kleine Start-Up-Unternehmer in Berlin-Mitte, sondern zum Beispiel auch Google, Apple, Facebook und die Telekom. Da ist es in der Tat doch besser, wenn beides getrennt ist. Es hat ja nicht geschadet, dass in der Frage Vorratsdatenspeicherung die bisherige Justizministerin sich gegen den Wirtschaftsminister und den Innenminister stellte. Und die nicht allein entscheiden konnten.
Der Innenminister wiederum soll sich ruhig weiter um die Strafverfolgung im Internet kümmern. Betrug, Pädophilie, Verleumdung gibt es online wie offline. Aber jemand, der Kriminelle jagt, sollte nicht zugleich die Gesetze verfassen, die definieren, wer ein Krimineller ist. Oder hat es etwa dem Datenschutz geholfen, dass er im selben Haus betreut wird wie die Verfolgung von Internetkriminalität?
Soll doch der neue Wirtschaftsminister weiter Internet-Startupfirmen fördern. Sie haben die gleichen Probleme wie andere Jungunternehmer: Komplizierte Steuern, unübersichtliche Förderung, langwierige Bürokratie. Wieder unterscheidet sich hier die Offline-Welt kaum von der Online-Welt.
Soll doch die Bildungsministerin mit ihren Länder-Kollegen die Forschung und Schulung für Netzkompetenz vorantreiben – das zu planen können Wissenschaftler und Pädagogen besser als Polizeibeamte und Juristen. Oder Alexander Dobrindt.
Und es kann gern in der Verantwortung der Kulturstaatsministerin liegen, darüber nachzudenken, ob Internetmedien vergleichbar sind mit Fernsehsendern und Radiostationen – letztlich liegt die Zuständigkeit für solcherlei ohnehin bei den Bundesländern.
So kümmert sich also jeder Fachmann in seinem Gebiet um die Internetprobleme, die in seinem Ressort anfallen. Das Netz verdient da keine Spezialbehandlung – oder Auslagerung in ein eigenes Ministerium für Netzgedöns.
Dass solch eine Konzentration nichts nutzen wird, dürfte sich gerade am geplanten Internetausschuss des Bundestags zeigen. Wer jubelt, künftig werde das Netz in diesem Gremium geregelt, der hat von Parlamentsarbeit keine Ahnung. Bei komplexeren Fragen werden immer mehrere Ausschüsse einbezogen, das mächtigste von ihnen übernimmt dann die so genannte Federführung – also zum Beispiel etablierte wie die für Inneres oder für Wirtschaft. Für sie ist der neue Netzausschuss allerdings praktisch, weil sie Vertreter der Netzlobby – etwa ChaosComputerClub, Abgeordnetenwatch oder andere Netzaktivisten – nicht mehr anhören müssen. Sie schicken sie einfach in den neuen Ausschuss und haben ihre Ruhe.
Aber das haben die Netzgläubigen dann davon: Sie wollen in ihrer blinden Arroganz lieber was Eigenes, was ganz Besonderes sein – statt ein normaler Teil zu werden von Fragestellungen in der Wirtschaft, Justiz, Bildung oder Kultur. Wer sich abgrenzen will, darf sich dann auch nicht darüber beschweren, dass er nicht einbezogen wird.
Falk Heunemann, Autor in Hamburg, schreibt die OC-Kolumne “Auf einen Klick” jeden Donnerstag.