Reichtum ist keine Privatangelegenheit
Die Vermögensverteilung in Deutschland ist absolut unausgeglichen, wie eine DIW-Studie zeigt. Und deshalb braucht die Bundesrepublik unbedingt eine neue Neiddebatte
Vielleicht täusche ich mich ja, aber sehr wahrscheinlich hat Susanne Klatten nicht bei den Befragungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) mitgemacht. Genauso wenig wie Karl Albrecht, der Aldi-Süd-Patriarch, oder Lidl-König Dieter Schwarz. Auch die – nach meinem bisherigen Kenntnisstand leider nicht mit mir verwandte – Milliardärsfamilie Reimann hat gekniffen, wahrscheinlich hätte sie die Teilstichprobe „Einkommensstarke Haushalte” mit ihrer Finanzkraft schlicht unbrauchbar gemacht. Überhaupt: Wer wirklich reich ist, reiht sich nicht ein in irgendwelche Haushaltsbefragungen. Das ist was für den Plebs bis maximal 1 Million Euro Rücklagen, für Leute, die sich für reich halten, nur weil ihr Einfamilienhaus in Hamburg oder München gerade etwas mehr wert ist.
Wenn also jetzt die Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Basis der SOEP-Daten Aussagen zur Vermögenssituation in Deutschland machen, ist Vorsicht geboten. Nicht weil Rentenanwartschaften oder Omas Hausrat bei den Berechnungen unberücksichtigt geblieben sind, sondern weil es immer noch ein großes Datenvakuum gibt, wenn es um wirklich große Vermögen geht. Das geben die Forscher denn auch unumwunden zu: „Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass besonders wohlhabende Personen in einer Stichprobe wie dem SOEP faktisch nicht vorkommen. Dies gilt insbesondere für Milliardäre und Millionäre mit einem Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das wahre Ausmaß an Vermögensungleichheit unterschätzt wird. Externe Statistiken zur Validierung dieser Unterschätzung, zum Beispiel eine Vermögensteuerstatistik, liegen in Deutschland nicht vor.”
Und so müssen wir uns wohl oder übel mit den mediokren Möchtegern-Reichen des Sozio-oekonomischen Panels zufrieden geben. Doch selbst diese Daten reichen interessanterweise schon, um ein Faktum in Erinnerung zu rufen, das die Gerechtigkeits-, aka Neiddebatte in Deutschland neu befeuern wird: Danach sind in keinem Land der Eurozone die Vermögen ungleicher verteilt als in Deutschland. Mit einem Gini-Koeffizienten der Vermögensverteilung von 0,78 für das Jahr 2012 ist die ach so soziale Marktwirtschaft näher an der Vermögensverteilung in den USA als an der in anderen europäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz. (Je näher der Gini-Koeffizient bei der 1 ist, desto ungleicher die Verteilung.)
Ist das jetzt schlimm?
Ja – und das kann man übrigens auch ohne Schaum vorm Mund und rote Fahne in der Hand so sehen. Die – in Deutschland weniger extreme – Einkommensverteilung mag da zwar zunächst beruhigen, aber die persönlichen Freiheitsgrade und Lebenschancen werden eben vor allem auch durch die Verteilung der Vermögen bestimmt – und dies über Generationen hinweg. Und: Size matters. Die ökonomische Logik privater Güter impliziert, dass es für die Mitmenschen einen Unterschied macht, ob einer für sich (und seinen Nachwuchs) Tausend Quadratmeter Land einzäunt oder Tausend Quadratkilometer. (Wie jeder bestätigen kann, der deshalb schon mal einen Umweg machen musste.) Und aus den gleichen Gründen ist es eben keine Privatsache, ob die reichsten zehn Prozent einer Gesellschaft 40, 50 oder – wie zurzeit in Deutschland – weit über 60 Prozent des Privatvermögens kontrollieren. Da braucht es gar keine Weinerlichkeit aus den neuen Gerechtigkeitsdebatten – es ist schlicht eine definitorische Binsenweisheit, dass die Konzentration von Privateigentum den Exklusionsgrad in einer Gesellschaft erhöht. Sei es zum Beispiel bei der Frage, welche Kinder welche Startchancen bekommen, oder bei der Entscheidung, wer wo wohnen darf, oder ob sich der eine einen entspannten Lebensabend schon leisten kann oder eben nicht.
Reichtum ist deshalb nie Privatsache, selbst wenn er “persönlich verdient” wurde. Vermögen ist nie unabhängig von anderen Menschen. Die Gerechtigkeitsdebatte darf also ruhig weitergehen, selbst wenn sie von manchen als nervige Neiddebatte empfunden wird.
Wer diese böse Debatte nicht durch aufrührerische Meldungen wie die von der DIW-Studie befeuern will, kann es ja wie die Online-Ausgabe der “Welt” machen und die dramatische Vermögensungleichheit in Deutschland seinen Lesern mit positiven Überschriften schmackhaft machen: “In Ostdeutschland wächst Reichtum am schnellsten.” Kann man auch so sehen…
Axel Reimann ist Autor von „Die Rindvieh-Ökonomie. Warum wir den Glauben an die Wirtschaft verlieren“. Das Buch erscheint am 24.März 2014 im Gütersloher Verlagshaus. Er bloggt auf www.axelreimann.com.
Jürgen Mustermann am 27. Februar 2014
Tja, leider wahr. Die Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung - die gemeinsam vermutlich nur über einen einstelligen Prozentsatz des "Volksvermögens" verfügt - wählt aber weiterhin all jene Parteien, die den Gini-Koeffizienten auch weiter steigen lassen werden.
Ich werde jetzt nicht länger auf "Unterschichtfernsehen", Zeitungen mit vier Buchstaben oder die Bildungsmisere in Deutschland eingehen - aber "panem et circenses" funktioniert eben auch im dritten Jahrtausend nach den römischen Cäsaren noch! Jede(r) bekommt, was er/sie (es ;-) verdient, will, oder jedenfalls wählt - wie bewußt auch immer.
Axel Reimann am 28. Februar 2014
Das mit dem Brot und den Spielen würde ich ja unterschreiben, aber ich denke, es kommt da noch was dazu: der Glaube an die Naturgesetzlichkeit des ganzen Arrangements. "So ist das halt." Und wer daran Anstoß nimmt, versündigt sich an der Natur (der Ökonomie).