Von der Feigheit der Christenmenschen
Katholiken und Protestanten in Deutschland knöpfen sich jetzt wieder gemeinsam den Kapitalismus vor. Das wäre ja eine lohnenswerte Angelegenheit, wenn sich die Verantwortlichen dabei auch mal was trauen würden
Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben nun also eine neue “Ökumenische Sozialinitiative” gestartet. Die hat den Titel “Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft” und soll bis zum 18. Juni “eine breite Diskussion über unsere Wirtschafts- und Sozialordnung” anstoßen. Okay.
Lassen wir mal zunächst all die kleinlichen Fragen weg wie: Wen interessiert das? Für wie relevant halten die sich eigentlich noch? Mit welchem konkreten Veränderungsvorschlag – wenn überhaupt – dürfen wir realistischerweise nach vier Monaten rechnen? Das wäre alles billiges Rumkritteln. Vor 17 Jahren haben die Kirchen mit ihrem gemeinsamen Sozialwort zumindest mal erwähnt, auf welcher Seite sie stehen und was ihrer Ansicht nach falsch ist in der Welt. Das war damals wenigstens eine echte Diskussionsgrundlage. Für die originäre Zielgruppe der christlichen Ethik-Provider – doch, doch: für die Armen – hat es am Ende nichts geändert, und inzwischen haben wir alle verinnerlicht, dass uns die Hartz-Reformen gerettet haben. (Auch wenn’s nicht stimmt.) Aber 1997 hatte das Sozialwort der Kirchen zumindest noch alttestamentliche Qualitäten, was das Propheten- und Wächteramt angeht.
Und dann gibt es ja auch noch seit nunmehr bald einem Jahr diesen Papst, der uns mit seiner Fundamentalkritik am Kapitalismus irritiert (“Diese Wirtschaft tötet”). Vielleicht, so sollte man meinen, färbt ja so viel Klarheit und Konfrontationsbereitschaft des Stellvertreters Christi auch auf die deutschen Bischöfe und die evangelische Konkurrenz ab. Dann wäre die “Ökumenische Sozialinitiative” vielleicht sogar die Mühe der Lektüre wert.
Um mal die Pointe vorwegzunehmen: Nein, Klarheit und Konfrontationsbereitschaft wird man im Thesenpapier der neuen “Ökumenischen Sozialinitiative” nicht finden. (Vielleicht ist das bei einem Konsensprojekt auch zu viel verlangt.) Dafür mangelt es aber im Thesenpapier nicht an Plattitüden (“Nicht die kurzfristige Steigerung der Aktienkurse, sondern der nachhaltige Unternehmenserfolg muss der Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und die Entlohnung von Managern sein.”); an Binsenweisheiten (“Nur eine verantwortlich gestaltete Marktwirtschaft ist geeignet, den Wohlstand hervorzubringen, der erforderlich ist, um für alle Menschen ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zu ermöglichen.”). Und an dem, was der Soziologe Niklas Luhman einst Appellitis nannte, jene “im Prinzip harmlose, keinesfalls lebensgefährliche” Krankheit, die aber sei “für den, der davon befallen ist, zeitweise doch recht schmerzhaft. Man sieht das an eigentümlichen Zuckungen und an der Heftigkeit und Insistenz, mit der der Kranke agiert und andere anzustecken versucht.” Die Ökumenische Sozialinitiative ist voll von Appellitits.
Das alles wäre ja eigentlich gar nicht so schlimm. Ärgerlich wird das Ganze, weil sich in die zehn Thesen der Sozialinitiative Axiome geschlichen haben, die eine ergebnisoffene Diskussion verhindern werden. Und weil diese Axiome und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen – nur leicht variiert – in allen zehn Thesen heruntergebetet werden. Grob zusammenfassen könnte man die zehn Thesen so: Die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland ist toll, auf jeden Fall moralisch höher stehender als das, was anderswo getrieben wird; natürlich muss man sie weiterentwickeln, ökologisch und so, und dabei darauf achten, möglichst viele durch Bildung und Erwerbsarbeit mitzunehmen; auf die kapitalistischen Auswüchse der letzten Zeit reagiert man am besten durch eine Stärkung der Verantwortungskultur und Ordnungspolitik; der demographische Wandel ist ein Riesenproblem, also müssen wir flexibler werden; und ceterum censeo ist es klar, dass hohe Staatsschulden vom Teufel sind.
Da ist es eigentlich egal, was konkret über den jeweiligen Thesen der Sozialinitiative steht. Hier wird nur ein Klangteppich erzeugt, auf dem sich die austoben können, die ein leichtes Kapitalismus-Unwohlsein verspüren oder glauben, ein solches verspüren zu müssen – aber nichts verändern wollen.
Das geht so weit, dass die Autoren zum Teil schlicht ihre eigenen Thesen ignorieren. In der ersten These zum Beispiel – “wirtschaftliches Wachstum in den Dienst des Menschen stellen” – geht es nicht ein einziges Mal um das Wirtschaftswachstum. Nix Wachstumskritik, nix Bruttoinlandsprodukt. Noch nicht mal das Wort “Wirtschaftswachstum” taucht auf!
Noch ärgerlicher wird es, wenn Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse gesegnet werden (aber natürlich “nicht auf Kosten der sozial Schwachen”), Sparer zu Märtyrern stilisiert werden (“Sozialethisch kritisch zu bewerten ist jedenfalls, dass die Sparer zur Zeit besondere Belastungen tragen müssen”) und vor der demographisch bedingten Renten-Apokalypse gewarnt wird. Da hilft es dann auch nicht, wenn man “ökologisch” oder “für die Armen” drüber kleistert – wer mit den Axiomen der Neoklassik anfängt, wird immer bei ihren Rezepten landen. Und damit könnte sich die Ökumenische Sozialinitiative auch gut als Unterseite der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft machen, vielleicht in einer Rubrik “Wertemanagement” oder “Values”.
Man wird bei dieser Initiative das Gefühl nicht los, dass sich da zwei Institutionen als Ethik-Provider selbstvergewissern, und dabei sehr viel Energie darauf verwenden, möglichst niemandem auf die Füße zu treten und vor allem von den Eliten ernst genommen zu werden. Aber – und das hat der Papst schon kapiert – vielleicht schließen sich genau diese Ziele gegenseitig aus.
Axel Reimann ist Autor von „Rindvieh-Ökonomie. Warum wir den Glauben an die Wirtschaft verlieren“. Das Buch erscheint am 24.März 2014 im Gütersloher Verlagshaus. Er bloggt auf www.axelreimann.com.