Warum Wowereit fehlen wird
Es gibt eine Menge guter Gründe, weshalb Berlins Regierender Bürgermeister abtritt. Und einen, weshalb er durchaus bleiben könnte
Und das ist auch gut so… Kaum jemand bedauert den angekündigten Rücktritt von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit. Zu bräsig war er bei der Aufsicht des Skandalairports BER, zu wurschtig bei der Steueraffäre seines Kulturstaatssekretärs, zu eitel beim Planen einer überflüssigen Zentralen Landesbibliothek auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof.
Dennoch wird Wowereit fehlen. Mit seinem Abgang rutscht eine ganze Klasse von Politikern in die Bedeutungslosigkeit, die einmal die Bundesrepublik maßgeblich geprägt haben: die Ministerpräsidenten und Landeschefs.
Bundeskanzler zu sein, war in Deutschland einmal ein schwieriger Job. Der Opposition hatte er sich zu erwehren, die eigene Koalition bei Laune zu halten – und dann war da auch noch die Riege der Ministerpräsidenten, die durch Querschüsse und über den Bundesrat einem Kanzler das Leben schwer machen konnte.
Die Liste der eigenständigen und eigenwilligen Landeschefs ist lang. Da gab es die Bayern Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber, den Schwaben Lothar Späth, die Saarländer Oskar Lafontaine und Peter Müller, die Niedersachsen Ernst Albrecht und Gerhard Schröder, den Hessen Roland Koch, die NRWler Wolfgang Clement und Peer Steinbrück.
Und heute? Angela Merkel kann in aller Seelenruhe vor sich hin regieren. Sicherlich, der Bayer Horst Seehofer schießt notorisch quer. Aber ansonsten? Es herrscht Ruhe im Land. All die Sellerings, Lieberknechts, Kramp-Karrenbauers oder Scholz’ wurschteln irgendwie vor sich hin, fallen nicht auf. So unauffällig sind sie, dass sich kaum jemand daran erinnert, wer eigentlich derzeit Niedersachsen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt regiert. Und falls jemand wie Hannelore Kraft aus Düsseldorf mal ein bisschen auffällt – wodurch eigentlich? -, dann wird sie gleich als potenzielle Kanzlerkandidatin gehandelt.
In den Bundesländern, die qua Grundgesetz eines der politischen Machtzentren der Bundesrepublik sind und durchaus ein Gegengewicht zur Bundesregierung sein sollen, herrscht heute bleierne Ruhe. Ihr Spitzenpersonal ist allenfalls noch Mittelmaß, begnügt sich damit, die Latifundien zu verwalten. Gestaltungswille? Fehlanzeige. Dass – wie einst Kurt Georg Kiesinger – ein Ministerpräsident direkt zum Bundeskanzler gewählt wird, erscheint heute undenkbar.
Sicherlich, auch Klaus Wowereit war kein Gestalter, dafür war er viel zu bequem. Aber er hat das Land mit geprägt. Durch sein Outing als Homosexueller, durch seine Sprüche („Berlin ist arm aber sexy“), durch seine Feierlaune. Und durch seine Machtpolitik. Er ging einmal lieber eine Koalition mit der Linken als mit den Grünen ein – weil er früh erkannt hatte, dass die Linke deutlich handzahmer sein würde. Seine sozialdemokratischen Parteifreunde waren da noch mit ideologischen Bedenken beschäftigt. Und sind es bis heute.
Vor allem wird Wowereit aus einem Grund fehlen. Ihn kannte man wenigstens. Ganz anders als etwa den…äh…Dings aus Bremen, der auch schon seit neun Jahren im Amt ist.
Andreas Theyssen, Autor in Berlin, hat sich früher oft über die Querschießer aus den Bundesländern geärgert, die beispielsweise zu Helmut Kohls Zeiten eine Steuerreform blockierten. Er hätte nie gedacht, dass er sie einmal vermissen würde.
Felix am 28. August 2014
Dass die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten heute nicht mehr so profiliert erscheinen liegt möglicherweise auch darin begründet, dass "normale" Politik journalistisch längst nicht mit derselben Hingabe begleitet wird wie all die personellen Querelen und Skandälchen, die nun tatsächlich weitaus spannender sind als die Themenpalette der Landes- und Kommunalpolitik. Dort gibt es jede Menge Gestaltungswille - aber unterhalb der Schwelle, die seitens der Medien und in der Folge vieler Bürgerinnen und Bürger als Großmannssucht oä. tituliert wird. Wenn man ernsthaft meint, Wowereit habe Berlin v.a. durch seine Sprüche, sein Outing, seine Feierlaune und seine Machtpolitik geprägt, dann ist der Fokus falsch justiert oder man lebt nicht in Berlin. Vermutlich: beides.
Andreas Theyssen am 28. August 2014
Ich empfehle die Lektüre des vorletzten Satzes: "Andreas Theyssen, Autor in Berlin, hat..."