Schafft den Weltspartag ab!
Als moralische Institution hat die Wir-führen-die-Kleinen-ans-Sparen-heran-Veranstaltung ausgedient. Denn Sparen als solches hat ein paar argumentative Schwachstellen. Und so ist der Weltspartag der gruseligste Zombie an Halloween
Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten: Wer leidet stärker am Weltspartag (und an den Tagen davor)? Die wenigen Eltern, denen in der örtlichen Sparkassenzweigstelle ein Zählbrett in die Hand gedrückt wird, auf das sie zusammen mit ihrem Nachwuchs neun Euro dreizehn in 1-, 2- und 5-Cent-Münzen sortieren sollen? Oder doch eher die Kundenbetreuer, die sich aus kalendarischen Gründen eine unsichtbare Clownnase aufziehen müssen, sobald das Filialpublikum mal nicht das Rollator-Alter erreicht? Jedenfalls ist es für alle eine Pein, selbst für die gierigen Blagen, denen man den Sinn des Sparens näher bringen will: “Für diese blöden Stifte (alternativ: Geldbeutel, Plastikmaus, Baseball-Mütze, Handtuch, CD, Ausmalbuch, Kuscheltier, und, ach, Sparschwein) mussten wir jetzt so lange hier sein?”
Ja, Ihr saturierten Quälgeister, Sparen heißt immer warten – auch auf Werbe-Gimmicks, die Ihr nicht wollt! Früher, in den guten alten Zeiten, konnte solche Art von Undankbarkeit – wenn es sie überhaupt gegeben haben sollte – mit dem Hinweis auf das segensreiche Wirken der Zinsen und des langfristigen Vermögensaufbaus beantwortet werden. Inzwischen gibt es da ein paar argumentative Schwachstellen.
Aber der Reihe nach: Der Weltspartag, diese vor genau 90 Jahren zur moralischen Ertüchtigung der Sparer ins Leben gerufene Veranstaltung, ist schon seit längerem eine Retro-Party ohne Gäste, selbst das Aufblähen zu einer “Weltsparwoche” oder gleich zu “Weltsparwochen” ändert daran nichts. Weshalb viele überregionale Kreditinstitute ohnehin längst darauf verzichten. Dagegen halten überwiegend Sparkassen und Banken mit starker regionaler Verankerung bislang an den Sparer-Streicheltagen fest. Nicht weil sie die Spareinlagen für ihr Geschäft dringend bräuchten, sondern als Kundenbindungsinstrument. Denn nicht die Spardose mit der lustigen Maus (oder anderen cleveren Identifikationsfiguren) ist inzwischen der Marketing-Gag, sondern das Sparen selbst. Der Weltspartag jedenfalls ist der gruseligste Zombie an Halloween.
Jetzt kann man diesen Niedergang eines sehr unwichtigen, von Sparkassen-Funktionären erfundenen Gedenktags erstens für relativ bedeutungslos halten (stimmt!), zweitens als Folge des zunehmenden Onlinebankings interpretieren (stimmt auch!) und drittens die Europäische Zentralbank (EZB) dafür verantwortlich machen (stimmt nicht!). Man kann in diesem Niedergang aber auch ein weiteres Indiz für eine Ernüchterung über das Sparen sehen. Und die führt uns gerade unangenehme Wahrheiten vor, die weit über Zählbretter und Sparschweine hinausgehen:
1. Sparen funktioniert nie für alle.
2. Sparen funktioniert nicht in jeder Zeit gleich gut.
3. Sparen sollte deshalb nicht gegen andere Formen der Daseinsvorsorge instrumentalisiert werden.
Diese Wahrheiten sind auch deshalb so unangenehm, weil wir das Gegenteil verinnerlicht haben und unser Gemeinwesen bisher fleißig so gestalten, als ob wir mit einem Finanztest-Abo und ein paar privaten Vorsorgeverträgen für alle Unwägbarkeiten des Lebens gerüstet wären. “Junges Blut, / spar dein Gut, / Armut im Alter / wehe tut.”
Mit Abscheu und Sorge muss uns da erfüllen, wenn ausgerechnet die Jugend nichts mehr von den guten, alten Werten wissen will – die soll schließlich mal unsere Spar- und Vorsorgeverträge bedienen, zumindest aber reale Gegenwerte dafür erwirtschaften. Im diesjährigen Vermögensbarometer des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), einer regelmäßigen Begleitstudie zum Weltspartag, wird gar von einer “Erosion der Sparkultur” gesprochen, insbesondere unter den heute 14- bis 29-Jährigen. “Die Zahlen signalisieren ein beunruhigend großes Desinteresse der jungen Generation an den Themen Altersvorsorge und langfristiges Sparen”, klagt Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Auch die geringe Sparneigung der Ärmeren gibt Fahrenschon zu denken: “Gerade im Blick auf mittlere und einkommensschwache Haushalte muss die Bedeutung des Sparens zum Vermögensaufbau wieder besonders betont werden.” (Finde den Fehler!)
Was aber, wenn die Jugend besser durchschaut, dass das Sparschwein nicht mehr wirklich eine Zukunft hat – auch nicht in seiner hochgezüchteten Geldanlageform?
Das mit den Zeitenwenden ist natürlich so eine Sache: Wenn man drinsteckt in einer, fühlt sich das zwar irgendwie komisch an, aber man mag nicht wirklich glauben, dass sich etwas grundsätzlich ändern könnte. Überlieferte Vorsorgetechniken wirft man nicht einfach so über Bord:
„Klar wird es immer Mammuts geben, die man jagen kann“, war eine der ältesten Arbeitshypothesen der Daseinsvorsorge.
„Kochsalz ist weißes Gold. Wer das hat, ist reich“, war auch nicht der beste Tipp.
Und jetzt eben: „Sparen ist verdienen.“ Mit dieser Vorsorgetechnik – wenn man hier unter „Sparen“ die risikolose, aber trotzdem rentierliche Geldanlage meint – hadern wir schon seit einiger Zeit. Die erste (und zweite und dritte) Reaktion auf diese unangenehme Situation ist: einen Schuldigen für die Misere suchen. Wir haben uns in Deutschland darauf verständigt, dass das selbstverständlich die EZB ist mit ihrer Niedrigzinspolitik und Gelddruckerei. Das Böse wäre damit beim Namen genannt – jetzt müssen wir dem Sündenbock nur noch die Hände auf den Kopf legen und ihn in die Wüste treiben. (Als Vollstrecker empfiehlt sich da ja bekanntermaßen die AfD.)
Bevor wir aber zur Tat schreiten, um diese brutale Enteignung der Sparer endlich zu stoppen, macht es Sinn, mal kurz zu fragen, was denn unser “Mammut”, unser “Kochsalz” ist, was “Sparen” eigentlich ist oder in Zukunft noch sein könnte. Die Banken jedenfalls brauchen unser Erspartes nicht, um Kredite zu vergeben. Und Kapitalknappheit mag zwar einzelne Menschen, Unternehmen, Banken oder Staaten in die Verzweiflung treiben, anlagewilliges Finanzkapital aber ist längst eher eine Kaninchenplage als ein scheues Reh. Zumindest ist es nicht so knapp, dass wir um seine Belohnung (aka Verzinsung) einen solchen Bohei machen sollten. Mal ganz zu schweigen davon, was denn an neun Euro dreizehn aufs Kindersparbuch – eingezahlt in 1-, 2- und 5-Cent-Münzen – so verdammt produktiv sein soll, dass man dafür jedes Jahr belohnt werden soll. Der Weltspartag ist eine gute Gelegenheit, auch mal darüber nachzudenken – bevor er endgültig abgeschafft wird.
Axel Reimann, Autor in Hamburg, beschreibt in seinem Buch “Rindvieh-Ökonomie” (Gütersloher Verlagshaus, 2014), was passiert, wenn wir den Glauben an die Verteilungsgerechtigkeit der Wirtschaft verlieren.
Zaunkoenigin am 3. November 2014
das ist Ihr Kernsatz "Bevor wir aber zur Tat schreiten, um diese brutale Enteignung der Sparer endlich zu stoppen, macht es Sinn, mal kurz zu fragen, was denn unser “Mammut”, unser “Kochsalz” ist, was “Sparen” eigentlich ist oder in Zukunft noch sein könnte" ...... Der leider in den ganzen Überlegungen etwas untergeht und so wie's ausschaut, haben Sie darauf so wenig eine Antwort wie ich auch, was wiederum erklärt, warum die Jungen kein Interesse am Sparen haben. Die haben nämlich das verstanden was die Älteren aufgrund ihrer Sozialisierung noch nicht ganz begreifen können. Selbst dann, wenn der Intellekt die Fakten erfasst hat.
Axel Reimann am 3. November 2014
@Zaunkönigin:
Da haben Sie tatsächlich den Finger in die Wunde gelegt: "Die [Jungen] haben nämlich das verstanden was die Älteren aufgrund ihrer Sozialisierung noch nicht ganz begreifen können." Das war bei Mammut und Kochsalz wohl ähnlich. Weshalb ich leider auch noch keine Antwort auf die Frage "Was denn dann?" geben kann. Aber vielleicht lohnt es sich, endlich ernsthaft darüber nachzudenken...
Zaunkoenigin am 3. November 2014
Hallo Herr Reimann,
nicht nur vielleicht. Es ist im Grunde ein Muss. Aber wenn man es tut, dann führt es nicht zwangsläufig zu einem Ergebnis. Noch nicht einmal dann, wenn man "es" lange genug tut.
Eines der Probleme beim "darüber Nachdenken" ist auch, dass immer weniger kalkulierbare Grössen in unsere Überlegungen mit rein spielen können. Hinzu kommt, dass der durchschnittlich intelligente Mensch gar nicht mehr in der Lage ist, das zu erfassen was an Einflüssen mit rein spielt. Dazu ist die Welt zu komplex geworden. Erfahrungswerte vergangener Jahrhunderte helfen da auch nicht weiter.
Vielleicht hilft es ja, sich möglichst breit aufzustellen um das Risiko zu streuen. Vielleicht gibt es nicht mehr nur das "Kochsalz" oder den "Mammut" sondern den "Schrebergarten" mit der "Goldreserve" und dem Weinvorrat im Keller. Wer weiss ...
Worauf ich nicht bauen würde und werde sind die Entscheidungen unserer Politiker und Banken. Und Lockangebote wie Riesterrente fand ich zum Glück noch nie sonderlich vertrauenserweckend. Heute zeigt sich (wenn man die Rentenpolitik und Rentenbesteuerung verfolgt), dass ich damit nicht so sehr daneben lag. Ich glaube kaum, dass sich an diesem Umstand in den nächsten Jahren etwas ändern wird.
Ist Ihnen bewusst, dass Ihre Skizzierung in Ihrem Artikel grob die gesellschaftlichen Abläufe in Griechenland vor dem Zusammenbruch beschreibt?