Crazy Horst und der Stamm der Grauen
Berlin hat einen neuen Regierenden Bürgermeister. Und der reiht sich ein in eine Truppe unscheinbarer Landeschefs. Nachruf auf eine Politiker-Spezies
Reiner wer? Na, der Regierungschef in Hannover. Nee, der heißt nicht Reiner mit Vornamen, sondern Stephan und mit Nachnamen Weil. Reiner heißt richtig Haseloff und ist Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Und der MP in Kiel? Heißt der nicht Olaf? Auch falsch. Olaf, dessen Nachname Scholz lautet, ist Herr im Hamburger Rathaus. Aus seiner Berliner Zeit als SPD-Generalsekretär ist er einigen noch als „Scholzomat“ in Erinnerung, der die Politik von Kanzler Gerhard Schröder zu verkünden hatte.
Die Landespolitik in Deutschland ist grau geworden. Selbst Kenner der politischen Szene wissen auf Anhieb nicht, dass in Schleswig-Holstein der Sozialdemokrat Torsten Albig regiert. Bei den Namen Erwin Sellering oder Stanislaw Tillich dauert es einige Zeit, bis sie als Landesväter von Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen identifiziert sind. Und nach dem Paradiesvogel Klaus Wowereit („Ich bin schwul, und das ist auch gut so“) regiert nun der bodenständige Michael Müller die Hauptstadt Berlin. Der SPD-Mann sagt von sich selbst, verglichen mit Wowereit sei sein Glamourfaktor noch ausbaubar.
Einer breiten Öffentlichkeit dürfte nur der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer bekannt sein. Der wegen seiner Eskapaden als „Crazy Horst“ berüchtigte CSU-Chef ragt aus dem grauen Einerlei der Landesväter und –mütter heraus. Mithalten können da allenfalls Winfried Kretschmann aus Stuttgart und Bodo Ramelow. Aber das auch nur wegen ihrer politischen Exotik: Kretschmann ist der einzige grüne Länderregierungschef, Ramelow gehört der Linkspartei an.
Mehr oder weniger austauschbar ist auch die Politik der Länder geworden. Angesichts knapper öffentlicher Kassen und schmerzhafter Sparzwänge bleibt wenig politischer Spielraum; da sind Zuverlässigkeit und Beständigkeit angesagt. Das macht die Politik und ihr handelndes Personal wenig sexy.
Vorbei die Zeiten, da ein Franz Josef Strauß Hassobjekt für das halbe Land war und von der anderen Hälfte bedingungslos geliebt wurde. Und rechte Hand von FJS war zeitweilig ein gewisser Edmund Stoiber. Der Mann war wegen seiner scharfen Zunge als „blondes Fallbeil“ berüchtigt, mutierte später zur Witzfigur, der Blumen hinrichten wollte und von der glodernden Lut oder so ähnlich schwärmte.
Auf der anderen Seite der ebenso geliebte wie umstrittene SPD-Menschenfänger Johannes Rau oder der Bremer Bürgermeister Hans Koschnick, der Wortungetüme wie Bundespersonalvertretungsgesetz in einer Silbe aussprechen konnte. Wie Strauß und Kohl im rechten Lager bewegten sie auf der linken Seite des politischen Spektrums die Menschen. Und der bullige hessische SPD-Regierungschef Holger Börner wäre am liebsten mit der Dachlatte auf die aufstrebenden Grünen losgegangen – bevor er eine Koalition mit den Ökos wagte und Joschka Fischer zum ersten grünen Umweltminister der Welt machte. Und Lothar Späth, das CDU-Cleverle aus Stuttgart, betrieb erfolgreiche Wirtschaftspolitik dank der im Ländle massenhaft vertretenen Nobelfirmen wie Daimler oder Porsche.
Derzeit macht die rot-grüe NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft zwar Negativschlagzeilen, weil sie aus Finanznot Gemälde von Andy Warhol versilbert, fällt sonst aber kaum durch kantige Positionen auf. Und in Hessen, wo mit Roland Koch einer der CDU-Nachfolger Holger Börners zum Wutgeheul der Grünen ein Burka-Verbot durchsetzen wollte, arbeitet heute der CDU-Regent Volker Bouffier reibungslos mit den vor kurzem noch verteufelten Grünen in einer Koalition zusammen. An Profil hat Bouffier dadurch dennoch nicht gewonnen. Trotz Schwarz-Grün ist er einer der Grauen geblieben. Also ein echter Vertreter seiner Zunft.
Volker Warkentin, Autor in Berlin, beobachtet seit Jahren einen Bedeutungsverlust der Länder.