Wie radikal dürfen Führungskräfte sein?

Von Axel Reimann am 28. Februar 2015

Drei Tage lang haben in Hamburg christliche Führungskräfte darüber nachgedacht, wie sie „Mit Werten in Führung gehen“ können. Mit dabei (unter anderem): ein Bundesinnenminister, ein Unions-Fraktionsvorsitzender, eine AfD-Bundessprecherin. Und ein NDR-Investigativreporter. Der glaubt, radikale Christen entdeckt zu haben. Schön wär’s

Es ist ein Elend mit den Werten, an denen wir uns im Leben orientieren. Und das liegt vor allem daran: Es gibt tatsächlich Menschen, die andere Werte haben.

Dabei wäre alles so viel einfacher, wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, meine teilen würden. Vor allem müsste ich nicht so viele Vorbemerkungen machen, wenn ich über einen Kongress schreibe, bei dem es darum geht, wie Führungskräfte „mit Werten in Führung gehen“. Das heißt natürlich: wie Führungskräfte mit den „richtigen“ Werten in Führung gehen. In Hamburg waren das jetzt drei Tage lang die christlichen Werte, für Connaisseure: die evangelikal-konservativ-christlichen. Da ging es dann um „Erfolgreiches Marketing mit christlichen Werten“ bis zur Frage, ob ausgebrannt sein ein Führungsproblem ist. Der liebe Gott, die zehn Gebote, das christliche Menschenbild, das klassische Familienmodell und der Herr Jesus wurden da häufiger ins Feld geführt als sonst üblich bei Managers.

Dürfen die gern mal machen, die christlichen Führungskräfte, solange ich nicht alles toll finden muss, was da so gesagt oder in der gleichzeitigen Ausstellung beworben wird. So ähnlich hat das wahrscheinlich auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz gesehen, als er die Schirmherrschaft über den Kongress übernommen hat. Um Werte geht’s? Kauder und de Maizière kommen auch? So was macht der Olaf im Schlaf: „Erfolgreiche Unternehmen und Organisationen brauchen heute mehr denn je klare Werte.“ Hörthört. „Werte können dienen als Kompass, der den Weg weist.“ Ach ja, ein Kompass, der den Weg weist. Da braucht es noch nicht einmal eine Wikipedia-Recherche fürs Grußwort.

Man kann das Ganze aber auch dramatischer ausleuchten und – wie der NDR – einen Investigativreporter zum ersten Kongresstag schicken. Der rüttelt uns dann damit auf: „Scholz unterstützt Kongress radikaler Christen.“ Echt jetzt? Das wäre ja tatsächlich mal eine Nachricht, wenn es wieder ein paar radikale Christen gäbe, einen Franz von Assisi, einen Bonhoeffer vielleicht, einen Oscar Romero oder einen Christian Führer. Radikalinskis allesamt. Aber das war ja nicht gemeint mit dem radikal, sondern der Investigativkollege klopfte den christlich-konservativen Kongress auf die drei Gewissensfragen aufgeklärten Denkens ab: Wo steht Ihr in der Abtreibungsdebatte? Was denkt Ihr über Homosexualität? Wie haltet Ihr es mit anderen Religionen, insbesondere mit dem Islam? Das ist natürlich eine extrem investigative Herangehensweise, etwa so, als wenn man in einer Metzgerei nach der Einstellung zum Veganismus fragt. Also ein sicherer Schuss auf ein völlig unbewegliches Ziel.

Jetzt müssen einem die Organisatoren des Kongresses, insbesondere die Evangelische Nachrichtenagentur Idea, deshalb nicht so furchtbar leid tun. Die teilen in ihren Publikationen schließlich auch gern und häufig gegen weltanschauliche Gegner aus. Aber wie steht es um die rund 3000 radikalen Führungskräfte, die in Hamburg für den christlich-konservativen Dschihad geschult wurden? Was nehmen die von diesen drei Tagen mit?

Auch da gilt: Die Menschen haben gelegentlich nicht nur unterschiedliche Werte, sondern auch unterschiedliche Wahrnehmungsfilter und Veranstaltungsvorlieben. Was wahrscheinlich irgendwie zusammenhängt. Aus dem Vortrag von Unionsfraktionschef Volker Kauder jedenfalls zur Religionsfreiheit bleibt dann im Zweifel das hängen, was man ohnehin selbst glaubt (oder in der Kongresszeitung als Schlagzeile findet), zum Beispiel dieser apodiktische Knaller: “Auf der Grundlage des Islam werden Menschen zu Terroristen.” Andere Kauder-Aussagen dagegen, die eher zum Kongressthema (“Mit Werten in Führung gehen”) passen, rutschen da wahrscheinlich einfach so weg: Dabei wäre der Satz “Jesus verlangt nicht, ihn zu rächen, sondern ihm nachzufolgen” in der ganzen Christlichen-Abendland-Debatte der vergangenen Monate ein echter Erkenntnisfortschritt im konservativen Lager.

Und man kann auch nicht sicher sein, dass die heiter-gelassene Antwort von Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf die Frage zum Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland die Umkreisungsängste der konservativen Christen dauerhaft mildern wird: “Ja, dann muss man eben den Druck aushalten” (und sich auch mal öffentlich-rechtlich zum Radikal-Christen machen lassen) ist zwar irgendwie richtig. Aber leichter verdaulich für den rechten Reizdarm sind die Erklärungen, die in anderen Veranstaltungen auf dem Führungskräftekongress angeboten werden – vom Publizisten Matthias Matussek zum Beispiel (“aus der Mitte der Redaktionen” drohe Gefahr für die Meinungsfreiheit), vom Medienunternehmer Klaus Kelle (“die Mehrzahl der deutschen Journalisten tickt links”) oder von AfD-Frontfrau Frauke Petry (“die Medien spielen mit Reizwörtern, um zu manipulieren”).

Apropos “Reizwörter”: Natürlich müsse man, so Kelle und Petry unisono, auch ungestraft von “Zigeunerschnitzel” oder “Entartung” sprechen dürfen. Alles andere wäre ja – ja, was denn eigentlich? Zensur? Beschneidung der Meinungsfreiheit? Oder doch vielleicht “Bedachtsamkeit” – also ein gar nicht so schlechter Wert, auch für christliche Führungskräfte?

Was überhaupt zu der spannenderen Frage des Kongresses führt: Was denn nun diese tollen Werte sind, mit denen die Führungskräfte in Führung gehen können? Vor allem aber: Welche Konsequenzen sie für die christlichen Führungskräfte haben? In der Kongresserklärung sind sie aufgeführt, zum Beispiel: “Wer sich an Gottes Maßstäben orientiert, lehnt Korruption, Betrug, unfaire Löhne, überzogene Gehälter und Abfindungen genauso ab, wie Habsucht, Neid, Geiz und üble Nachrede.”

Christliche Führungskräfte lehnen unfaire Löhne ab? Was heißt das bloß? Hat der NDR-Reporter also doch Recht – ein Kongress voller radikaler Christen? Finden die vielleicht gar den gesetzlichen Mindestlohn gut? Jetzt malen wir mal nicht den Teufel an die Wand! Zumindest auf der Pressekonferenz wurde dieser Art von Extremismus eine klare Absage erteilt.

Axel Reimann, Autor in Hamburg, beschreibt in seinem Buch “Rindvieh-Ökonomie” (Gütersloher Verlagshaus, 2014), was passiert, wenn wir den Glauben an die Verteilungsgerechtigkeit der Wirtschaft verlieren. 
Twitter: @axel_reimann, 
Facebook: https://www.facebook.com/rindviehoekonomie

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Zaunkoenigin am 3. März 2015

Ziemlich schwarz ... Ihr Humor :-) :-)

Was Werte im Management angeht, so haben das aber die "christlichen" Manager nicht erfunden. Das ist nur wieder mal eine neue Sau, die durch's Dorf getrieben wird.

http://www.dnwe.de/wertemanagement-und-compliance.html

Dafür gibt man dann auch gerne gute Gehälter aus (die man dann gerne am Mitarbeiter am Band wieder einspart *Polemikoff*

DocMcCoy am 4. März 2015

Hallo Axel! Schöner Kommentar. Wenn das wirklich der Kongress "radikaler Christen" gewesen wäre müsste ich mir nun endlich um die Zukunft des Abendlandes keine Sorgen mehr machen. Hab mir schon mit Emails an die NDR Programmdirektorin die Zeit vertrieben (liege gerade krank danieder) wo ich sie beglückwünsche zu so fähigen Journalisten in ihren Reihen die es doch tatsächlich schaffen auch mich auf meine alten Tage zum Schreiben zu inspirieren. Achso: Du hattest mich ja per Facebook kontaktiert: ich weiß leider nicht wie dieses Vernetzungsinstrument funktioniert (als radikaler Christ lebe ich schließlich mehr wie die Amish - ich schreibe übrigens auch auf einer abgegriffenen Tastatur bei der die Kommataste klemmt). Betrachte Dich aber als als Freund angeklickt :-).
Beste Grüße!
Fabian

Roland Hörmann am 12. April 2015

Ja sehr schöner Beitrag. Insbesondere der Teil mit dem Wahrnehmungsfilter gefällt mir gut. Umso erstaunlicher, das Ihnen ihr eigener nicht so bewusst zu werden scheint. Oder vielleicht doch? Welch schelmischer Gedanke, hm.
Wie wäre es denn mit der Erkenntnis, dass wir all diese verschiedenen Wahrnehmungsfilter brauchen, denn nur in ihrer Summe, also viele verschiedene Informationsquellen gemeinsam, ergibt sich ein halbwegs unverzerrtes Bild, auf das wir dann unseren eigenen Filter loslassen können? Und wenn wir dann noch um diesen Filter wissen und uns darüber hinaus bewusst machen, dass es absolute Werte nicht geben kann, dann sind wir auf einem Weg zu einer tolerant offenen Gesellschaft. In diesem Sinne, ja ein schöner Beitrag von ihnen und eine wertvolle Meinungsfassette.