Absurdes Theater

Von Volker Warkentin am 29. April 2015

Berlin hat eine kunterbunte, lebendige und professionelle Kultur von Weltrang. Die Streitkultur der Stadt hat leider nur Provinzniveau

Wenn Berlin ein Pfund hat, mit dem es richtig wuchern kann, dann ist es die Kultur. Unzählige große und kleine Bühnen, drei große Opernhäuser, Musical-Theater und Museen von Weltruf werden jährlich mit Milliarden Euro vom Land und vom Bund subventioniert und erhalten Geld von Unternehmen sowie privaten Gönnern, sind Publikumsmagneten. Jetzt tobt in der Hauptstadt ein bizarrer Theaterstreit, der sich an der Nachfolge für Volksbühnen-Chef Frank Castorf entzündet hat.

Das Stück könnte von Yasmina Reza sein,  die auch in Berlin gerne gespielt wird und deren „Gott des Gemetzels“ der passende Titel für die Kontroverse wäre. Ausgelöst hat das Ganze die durchaus fragwürdige Entscheidung, den Belgier Chris Dercon die Intendanz des Hauses am Rosa-Luxemburg-Platz zu überlassen. Der 56-jährige Kulturmanager steht seit 2011 an der Spitze der Londoner Tate Gallery, hat aber noch nie ein Theater geleitet.

Dercon und sein Leitungsteam sollen nach dem Willen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, der das Kulturressort in Personalunion leitet, ab 2017 neue Wege gehen, sprich Genres miteinander verbinden und auch den stillgelegten Flughafen Tempelhof nutzen. Gleichzeitig soll die Volksbühne ein Repertoire- und Ensembletheater bleiben.  Nach Bekanntwerden der Personalie setzte unter den Intendanten der Hauptstadt ein Wutgeheul ein, unter Dercon würde das Theater zu einer Festivalbühne mutieren.

Und für den Bund grätschte Kulturstaatsministerin Monika Grütters ein: Die CDU-Frau aus dem Kanzleramt warnte vor Doppelstrukturen nach einer Erneuerung der Volksbühne. Hintergrund: Der Bund finanziert bereits die Festwochen.

Richtig einen drauf setzte dann – mit großem Theaterdonner – Claus Peymann. Der 77-jährige Intendant des Berliner Ensembles, der wie Castorf 2017 aus dem Amt scheidet, setzte zu einem mächtigen Rundumschlag an und zielte vor allem auf Kultur-Staatssekretär Tim Renner, den eigentlichen Macher der Berliner Kulturpolitik. Der sei die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts. „Jung, frisch, ein bisserl dumm“, ätzte Peymann im „Zeit“-Interview und forderte: „Der Renner muss weg.“

Und als er sich so richtig in Rage geredet hatte, nahm sich Peymann auch noch den Regierenden zur Brust: „Der Müller war neulich erstmals im seinem Leben in der Oper. Die Grütters hat ihn reingezerrt –in den Freischütz.“ Müller konterte beleidigt mit dem Vorwurf des elitären Gehabes.  Er glaube nicht, dass Peymann ihn ebenso kritisiert hätte, „wenn ich Dr. Michael Müller wäre“. Der SPD-Politiker Müller ist gelernter Drucker und hat als einziger deutscher Regierungschef kein Abitur.

Das Peymann-Interview liest sich wie die Weigerung eines Dinos, die veränderten Realitäten anzuerkennen.  Die Verdienste von Peymann & Co um die Fortentwicklung des Theaters sind unbestritten. Aber die Zeit über die Patriarchen hinweggegangen. Weil sie sich als Bewahrer der Revolte von 1968 sehen, können sie nicht loslassen. Und  Bühnen wie das BE sind in ihrer Tradition erstarrt und haben seit Jahren nichts Außergewöhnliches mehr produziert.  Wie Theater zeitgemäß arbeiten können, zeigt seit einigen Jahren das Maxim-Gorki-Theater, des mit aktuellen politischen Stücken nicht nur bei jungen Leuten punktet. Für Peymann ist das freilich nur „Schickimicki“.

Machern wie Peymann scheint die alte Erkenntnis abhanden gekommen sein, dass Theater eine verderbliche Ware im Angebot haben und deshalb auch das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen müssen.

Die Theater-Metropole Berlin steht am Scheideweg. Eine gute Zukunft hat sie nur dann, wenn sie mutig und unkonventionell neue Wege geht und sich klug auf ihre Traditionen besinnt.

Volker Warkentin, Autor in Berlin, ist regelmäßiger Theatergänger und wundert sich immer wieder darüber, dass Hauptstadtbühnen noch immer meinen, mit Provokationen nach dem Muster der 68er Revolte von sich reden machen zu müssen.

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