Wie die Krise Griechenlands Nachbarn erschüttert
Europa kann die griechische Staatspleite verkraften, heißt es immer. Die Realität sieht anders aus. In den Nachbarländern, die teilweise zur EU gehören, schlägt vor allem die Bankenschließung Wellen: weil die Banken der Länder eng verflochten sind.
Es ist ein entspannter Abend im „One more“. Svetlomira G., 36, Verlagsangestellte, sitzt mit Kollegen bei einem „Gin Garden“ auf der Terrasse des angesagten Restaurants im Zentrum von Sofia, als die Eilmeldung auf dem Smartphone der Bulgarin aufpoppt. Die Regierung in Athen schließt die Banken, heißt es. Svetlomira G. wird kreidebleich. „Ich habe alle meine Konten bei einer griechischen Bank“, flüstert sie. Gehaltskonto, Sparkonto, auch das Konto, über das sie die Hypothek für ihre Eigentumswohnung tilgt.
Die Griechenland-Krise erfasst die Nachbarn des bankrotten Landes. Mazedeonien, dessen Zentralbank die heimischen Banken angewiesen hat, alle Einlagen aus Hellas abzuziehen. Serbien, das die Transaktionen aller griechischen Banken im Land mit ihren Zentralen in Athen eingeschränkt hat. Albanien und Rumänien, wo griechische Banken etliche Filialen oder Tochtergesellschaften haben. Vor allem aber erfasst die Krise das EU-Land Bulgarien: Gut ein Viertel der bulgarischen Banken ist in griechischem Besitz; unter den Top Ten sind sogar vier Ableger griechischer Banken.
„Ich kann mich so ärgern“, sagt Svetlomira G.. Kollegen von ihr haben schon zu Jahresbeginn, als in Athen Syriza die Wahlen gewann, zumindest einen Teil ihrer Ersparnisse von griechischen Banken in Bulgarien abgezogen. „Doch ich dachte immer, so schlimm wird es wohl nicht kommen“. Kam es dann doch.
Nicht nur sie macht sich Sorgen. Ein Bank-Run in Bulgarien blieb bislang zwar aus, aber etwa die United Bulgarian Bank, eine Tochter der griechischen National Bank, meldete am Montag einen leichten Anstieg von Abhebungen. Im ersten Quartal dieses Jahres, so errechnete die Wirtschaftszeitung „Kapital“ in Sofia auf Basis von Zentralbank-Daten, hoben bulgarische Sparer rund eine halbe Milliarde Euro von ihren Konten bei Banken in griechischem Besitz ab.
Für Nervosität bei Sparern sorgt auch, dass der bulgarische Bankensektor ohnehin angeschlagen ist. Im vergangenen Sommer ging die KTB Bank pleite, ein weiteres Geldinstitut überlebt derzeit nur, weil es vom Staat gestützt wird. Es gibt zwar auch in Bulgarien einen Einlagensicherungsfonds, doch zum einen deckt der nur Sparvermögen bis rund 100.000 Euro, zum anderen ist er durch das KTB-Debakel leer.
„Die Regierung sollte öffentlich sagen, dass wir uns um unsere Ersparnisse keine Sorgen machen müssen“, meint Svetlomira G.. So haben es Angela Merkel und der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zu Beginn der Finanzkrise getan, was in Sofia noch gut in Erinnerung ist. Immerhin erklärte die Zentralbank, dass die Ereignisse in Griechenland „in keiner Weise die Stabilität des bulgarischen Bankensystems beeinträchtigten“. In der Tat sind die bulgarischen Banken in griechischem Besitz bis auf eine Ausnahme weitgehend autark und gelten als gesund. Doch die Verflechtungen des griechischen mit dem bulgarischen und auch dem rumänischen Bankensektor ist so eng, „dass das Risiko wirtschaftlicher Konsequenzen dort am größten ist“, wie die Analysten der Royal Bank of Scotland schreiben. Zumal „man nie weiß, welchen Wahnsinn es geben wird, wenn in Griechenland alles zusammenbricht“, wie Peter Andronov, Vorsitzender des bulgarischen Bankenverbandes, der „New York Times“ sagte.
Schon jetzt hat die griechische Tragödie Auswirkungen auf Bulgarien. Die Zinsen für die Staatsanleihen des Landes zogen an. Und, so fürchtet Premierminister Boijko Borissow: Die Krise könnte seinem Land den Weg in die Eurozone bis auf Weiteres versperren. Eigentlich hatte Sofia in diesem Jahr Gespräche mit der Eurozone über einen Beitritt beginnen wollen.
Sieben Prozent seines Außenhandels macht Bulgarien mit Griechenland. Geliefert werden vor allem Textilien, Metalle, Strom. Die bulgarischen Lieferanten fürchten nun, dass sie durch die Kapitalbeschränkungen, die Athen am Wochenende eingeführt hat, auf ihren Rechnungen sitzen bleiben.
Svetlomira G. hat trotz ihrer Panik am Wochenende ihre Konten bislang nicht umgeschichtet. „Es sieht so aus“, lacht sie, „als wäre ich genauso irrational wie die Griechen.“
Andreas Theyssen, Autor in Berlin, war zufällig in Bulgariens Hauptstadt Sofia, als Athen die Bankenschließungen ankündigte.
Zaunkoenigin am 6. Juli 2015
Herr Theyssen, für mich ist das ein wunderbarer Artikel! Stimmung mit Sachinformationen gekonnt verknüpft und mit dem letzten Absatz die Misere der Griechen und anderer Otto-Normal-Bürger (für mich und meine Wahrnehmung) auf den Punk gebracht.
Andreas Theyssen am 7. Juli 2015
Freut mich. Und wieder einmal lernen wir: Reisen bildet. :-)