Eine Ode an die Bundesjugendspiele
Eine Mutter hat eine Petition gestartet, um die leicht vermufften Spiele abzuschaffen. Was sie übersieht: Sie lehren Kinder auch, mit Niederlagen umzugehen.
Ach Gott, der Ärmste. Kommt heulend aus der Schule nach Hause. Hat ihm eine Jugendgang das iPhone geklaut, ihn verdroschen oder ihm beides angetan? Nein, nichts dergleichen. Der Knabe aus Konstanz hatte Bundesjugendspiele und kam nur mit einer Teilnehmer- und nicht mit einer Ehrenurkunde für gute Leistungen im Laufen, Weitspringen und Ballwerfen heim. Grund genug für die Mutter, gleich die Abschaffung der Bundesjugendspiele zu fordern.
Warum so zaghaft? Warum nicht gleich die Abschaffung der Schulen fordern? Die Penne ist doch der reinste Frust, den die armen Kinderseelen nur schwer traumatisiert überstehen. Fängt schon mit dem frühen Aufstehen an, dann müssen sich die armen Kleinen stundenlang konzentrieren und können nicht mit ihren iPhones und iPads und wie die Dinger sonst noch heißen rumdaddeln. Und dann die Klausuren, Hausarbeiten, Prüfungen und so weiter. Menschenverachtend, das System. „We don’t need no education“, fallen einem da „Pink Floyd“ ein.
Und dann die Lehrer. Gehören eh nicht zu den Fleißigsten im Lande. Und sind auch noch so unsensibel, Unterschiede zwischen den Kindern herauszustellen. Und das nicht nur bei den Bundesjugendspielen, sondern auch im regulären Unterricht. Die Mutter moniert, bei den Sportwettkämpfen wüssten die Einzelnen vorher schon immer, dass sie am unteren Ende der Leistungsskala stehen würden. Wirklich nur auf dem Sportplatz? Oder nicht auch im Klassenzimmer?
Liebe Mutti aus Konstanz, so ganz verstehe ich Sie nicht. Denn Sie müssten doch wissen, wie heute große Teile der Eltern ticken. Vielen kann doch gar nicht genug Wissen in die armen Kinder reingepropft werden. Und das im Turbotempo: Also Abi nach zwölf Jahren, möglichst viele Fremdsprachen, Musikunterricht, frühkindliches Englisch und wenn’s geht, auch noch pränatales Chinesisch oder Joga. So wird der Nachwuchs unter Garantie um seine Kindheit und Jugend betrogen. Da wächst eine Generation heran, gegen welche die smarten Jungs von McKinsey mit ihrem Wahn, möglichst viele Leute aus Firmen rauszuschmeißen, Chorknaben sind.
Und diese Kinder sollen nicht lernen, mit Niederlagen unzugehen? In der Konkurrenzgesellschaft Schule keine Sportwettkämpfe mit allen Facetten erleben und auch erleiden? Dabei können – so sie denn richtig verarbeitet werden – sportliche Niederlagen den Ansporn zu Leistungssteigerungen bilden. Dann ist auch eine Ehrenurkunde bei den nächsten Bundesjugendspielen sicher. Dass die Spiele ein bisschen vermufft sind und eine Runderneuerung vertragen können, steht auf einem anderen Blatt.
Und noch etwas: Sport baut hervorragend den Stress ab und ist um Längen besser als jedes Computerspiel.
Volker Warkentin, Autor aus Berlin, denkt mit Graus an Lehrer zurück, die ihm viele Fächer, darunter auch den Sport verleidet haben. Dennoch kommen ihm Ideen für seine jeden Dienstag erscheinende OC-Kolumne „Warkentins Wut“ oft beim Sport.
maSu am 7. Juli 2015
Ja das Thema ist schon "durch". Es fanden sich nur 18.000 weitere Helikopter-Eltern und/oder dumme Internettrolle, die bei Change.org ein Knöpfchen gedrückt haben.
Die Mutti hat da bei der Erziehung versagt. Statt Hürden zu nehmen, will sie Hürden abschaffen. Aber gepampert wird man eben nur als Baby. Irgendwann sollte man lernen das Töpfchen zu nehmen. Auch wenn die Niederlagen hier sicherlich größere Folgen haben als bei den BJS....
Zaunkoenigin am 7. Juli 2015
Nun ja.. und ich dachte, dass es Zeit wird, dass jemand über diese Veranstaltung einmal nachdenkt. Das was ich in den 70ern während der Bundesjugendspiele erlebt habe, hatte mit Kindheit und Freude an der Bewegung nichts zu tun. Aber auch rein gar nichts. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass die moderen Pädagogik hier eine Verbesserung herbei geführt hat. Dem scheint nicht der Fall zu sein.
Bei diesen Wettkämpfen habe ich damals weder gelernt mit Niederlagen umzugehen, Freude an der Bewegung entwickelt oder Freude am Wettkampf, noch habe ich meine soziale Kompetenzen optimiert. Ich kam mir nur klein und verloren vor. Die ganzen Jahre über. Mann, war ich froh, als ich aus der Nummer endlich raus konnte!
Ich erwarte von Schule, dass sie Freude an der Bewegung und am Sport fördert und fordert, nicht den Wettkampf. Man wundert sich, dass die Kinder immer bewegungsfauler werden (das waren wir früher definitiv nicht) und realisiert nicht, dass man nur dann dagegen steuern kann, wenn man die Freude an der Bewegung fördert und nicht die auch noch Kinder frustiert. Wer das Gefühl vermittelt bekommt ein "Bewegungslegastheniker" zu sein, der wird nicht zwingend Ehrgeiz entwickeln ... Nicht jeder ist der Typ "und jetzt erst recht". Manch' einer wird eher Bewegung vermeiden und den Wettkampf sowieso um ja nicht in die Situation zu kommen sich klein fühlen zu müssen. Vom Gehänsel mancher Mitschüler und vom Einfühlungsvermögen mancher Sportlehrer ganz zu schweigen.
Wer sagt eigentlich, dass Menschen lernen müssen sich mit anderen zu messen? Wer sagt, dass der Wettkampf etwas ist, der soziale Kompetenz fördert? Ist es nicht zuträglicher, wenn Kinder Teamfähigkeiten entwickeln? Miteinander, statt gegeneinader.
Ein Ergebnis dieser unsäglichen "Spiele" ist, dass ich bei allen sportlichen Aktivitäten die ich im Erwachsenen Alter ausgeübt habe bzw. ausübe, es tunlichst vermeide mich mit anderen zu messen. Das würde mir die Freude nehmen, es würde krampfig. Wettkämpfe/Abzeichen sind für mich tabu. Auch in den Sportarten, in denen ich sichere Erfolgsaussichten hätte. Und um die Sportarten der Bundesjugendspiele habe ich den Rest meines Lebens einen gaaaaanz großen Bogen gemacht. Man hat mir die Freude daran nachhaltig ausgetrieben.
Nun kann ich problemlos akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich gerne messen. Denen möchte ich das auch keinesfalls ausreden. Ich erwarte aber auch die gleiche Akzeptanz bei Menschen, denen das nichts gibt oder für die das nur eine Qual ist.
Übrigens, Herr Warkentin, Sie haben mich mit diesem Artikel und den darin enthaltenen Schlussfolgerungen doch ein wenig überrascht.
Arne Hoffmann am 8. Juli 2015
Die Bundesjugendspiele sind so toll, dass man sie unbedingt erweitern sollte: zum Beispiel durch einen Wettbewerb, bei dem jeder Schüler eine Dreiviertelstunde lang vor einem versammelten Auditorium auf einem Instrument, das von einem Lehrer ausgewählt wird, ein Musikstück vorspielen sollte – auch wenn bereits nach wenigen Sekunden klar ist, dass er keinen Ton trifft und sich zum Gespött des versammelten Publikums macht. Und wer diese Veranstaltung doof findet, über den macht man sich erst recht lustig. Schließlich steckt das Leben voller öffentlicher Demütigungen; darauf müssen Schüler vorbereitet werden – während man im selben Atemzug über die Leistungsgesellschaft klagt. ("Also Abi nach zwölf Jahren, möglichst viele Fremdsprachen, Musikunterricht, frühkindliches Englisch und wenn’s geht, auch noch pränatales Chinesisch oder Joga.") Wenn schon schizophren, dann richtig!
Und jetzt noch mal ohne Sarkasmus: Die Bundesjugendspiele sind aus den 1920 von Carl Diem initiierten Reichsjugendwettkämpfen hervorgegangen, die die Tradition der "wehrhaften Volksgesundheit" aufrecht erhalten sollten:
http://www.deutschlandfunk.de/achim-laude-wolfgang-bausch-der-sport-fuehrer-die-legende.730.de.html?dram:article_id=101506
Eigentlich gehören sie auf die Müllhalde der Geschichte. Aber dafür sind wohl allzu viele Menschen der Ansicht, dass nicht alles schlecht war, was sich als Relikt aus dieser Zeit erhalten hat.
maSu am 8. Juli 2015
Herr Hoffmann:
Dann sollen auch keine Schüler mehr Hausaufgaben vorlesen oder Klausuren schreiben, wenn eh klar ist das sie scheitern. Und was macht man dann mit Kindern, die dann, wenn sie wahrscheinlich scheitern, gleich und immer das Handtuch werfen und aufgeben? Im Beruf kann man solch eine Mentalität nicht gebrauchen.
Und nicht alles, was irgendwie mit dem dt. Reich zusammenhängt, muss gleich per Definition was böses sein. Zu der Zeit trug man auch Hosen und - so ganz ohne Sarkasmus - ich habe sie noch nie einen Rock tragen sehen.
Zaunkoenigin am 8. Juli 2015
Ach, ich finde den Gedankenansatz von Herrn Hoffmann durchaus berechtigt.
Wenn man schon der Meinung ist, dass so etwas zur "Ertüchtigung der jungen Leute" dient, dann muss man sich auch fragen, warum man nur auf sportlicher Ebene messen möchte und nicht auch auf musikalischer Ebene? Und warum dann nicht auch noch den Lesewettbewerb nicht mehr auf freiwilliger Basis, sondern für alle zur Pflicht werden lassen? Man könnte begründet damit argumentieren, dass endlich wieder bessere Deutschkenntnisse aufgebaut werden.
Im Übrigen gibt es Sportunterricht und dort auch Noten. Das müsste genügen und würde sich dann auf der Ebene "Hausaufgaben und Klausuren" bewegen. Die Bundesjugendspiele sind da schon noch einmal eine andere Nummer.
savingplaza am 3. Juli 2016
Zuerst mal möchte ich mich bei Ihnen für die Antwort bedanken. Ob jetzt prozentual mehr Homosexuelle oder mehr Christen gefoltert und hingerichtet werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Jeder einzelne ist jedenfalls einer zu viel. Natürlich ist es nicht ernst gemeint, wenn im Standard zu Mord an Christen aufgerufen wird. Das sehen Sie durchaus richtig. Aber die Geschichte mit den Baukränen und den Homosexuellen auf kreuz.net war ebenfalls nicht ernst gemeint, sondern wie im Falle des Standard, überhitzte Rhetorik. Solche Postings sind einfach widerlich und man sollte sie nicht überbewerten. Vielleicht findet sich der eine oder andere verwirrte Geist, der solches guthieße. Aber solche Typen gibt es ebenfalls bei den Christenhassern. Andererseits kann aus verbaler Gewalt auch physische Gewalt entstehen. Was mich an Ihrer Argumentation stört, ist, dass Sie zwei Situationen, die absolut gleich sind, nur eben symmetrisch angeordnet, völlig unterschiedlich bewerten. Versuchen Sie nicht Unterschiede zu konstruieren, wo keine sind. Das ist intellektuell nicht haltbar und moralisch höchst unfair, genau wie die ganze Hetzjagd gegen die „rechtskatholischen“ Medien unfair ist. Aber das wissen wir ja schon lange.