Kneifen vor Merkel gilt nicht

Von Volker Warkentin am 24. Juli 2015

Die Sozialdemokraten sollen bei der nächsten Wahl auf einen Kanzlerkandidaten verzichten, meint der Kieler SPD-Ministerpräsident Torsten Albig. Gegen Merkel komme eh keiner an. Ein starker Spruch, der aber grundfalsch ist.

Hoffentlich ist dieser Tage niemand an Willy Brandts letzter Ruhestätte vorbeigegangen. Der arme Mensch hätte einen gehörigen Schock erlitten, weil sich der langjährige SPD-Chef aus Gram über Äußerungen seines Kieler Genossen Torsten Albig im Grabe umgedreht hätte. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident hat seiner Partei doch allen Ernstes empfohlen, 2017 auf die Kür eines Kanzlerkandidaten zu verzichten, weil Amtsinhaberin Angela Merkel nicht zu schlagen sein werde.

Noch ganz bei Groschen, Genosse Albig? Warum nicht gleich die Selbstauflösung der mehr als 150 Jahren alten Partei fordern, der Merkel mit ihrem sozialdemokratischen Kurs die Butter vom Brot nimmt? Die Kanzlerin erscheint wie eine Bienenkönigin, die auf dem Hochzeitsflug einen Partner nach dem anderen ausschaltet: So die SPD 2009 nach der ersten Amtszeit der Regierungschefin und 2013 die FDP. Und in zwei Jahren sind möglicherweise die Grünen dran – zunächst als Koalitionspartner der Union im Bund und dann als Opfer.

Unter Merkel hat die CDU eine Position nach der anderen geräumt, die konservativen Christdemokraten heilig waren: die Betreuung von Kleinkindern durch die Mütter, die Wehrpflicht, die Atomenergie. Hinzu kommt das Ja zum Mindestlohn und das Ja zur Rente mit 63. Jetzt ist die Kanzlerin Medienberichten zufolge sogar bereit, ein vor Jahren von ihr gekipptes Einwanderungsgesetz zu akzeptieren.

Programmatisch geriert sich die CDU wie eine sozialdemokratische Partei, die – im Gegensatz zur skrupulösen SPD – den absoluten Willen zur Macht hat. Auch deshalb haben die Unions-Parteien einen großen Vorsprung auf die SPD, die nicht erst seit Sigmar Gabriel im 25-Prozent-Ghetto verharrt.

Natürlich hat sich die übergroße Mehrheit der führenden Genossen gegen den Vorstoß aus der Kieler Förde ausgesprochen. Selbst Albigs Landesvorsitzender Ralf Stegner ging auf Distanz zum Ministerpräsidenten: „Wir dürfen nicht in Ehrfurcht vor der Bundeskanzlerin erstarren“, so Stegner zum „Spiegel“. Die SPD müsse immer das Ziel verfolgen, die Regierung zu führen.

Doch ganz so falsch liegt der Mann aus dem hohen Norden nicht. Denn es fehlt der Partei an einem klaren Kurs und einer charismatischen Führungspersönlichkeit, die auch junge Wähler anspricht. So wie einst Willy Brandt, der es erst im dritten Anlauf ins Kanzleramt schaffte. Gebraucht wird eine mutige Frau mit Biss und neuen Ideen, die der SPD wieder eine Machtperspektive verleiht und der die Partei langfristig vertraut. Jungs, lasst los und sucht in der zweiten Reihe nach einer toughen und schlagfertigen Genossin vom Kaliber der Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat.

Volker Warkentin, Autor in Berlin, fühlt sich der SPD seit langem verbunden und wünschte sich manchmal die Fähigkeit, eine überzeugende Merkel-Herausfordererin backen zu können.

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