Sind wir den Gefährdern hilflos ausgeliefert?

Von Urs-Martin Kellner am 25. November 2015

Der Fall zweier junger Männer aus Solingen zeigt, wie wenig Deutschland im Fall von IS-Anhängern tut. Großbritannien ist da weiter.

Gefährder! Ein Wort, das seit den Anschlägen von Paris Angst macht.

Sie sind allgegenwärtig, die Gefährder. In Talkshows, in den Printmedien, bei Menschen, die auf öffentliche Großveranstaltungen, beispielsweise Konzerte, Fußballspiele oder Christkindelmärkte wollen. Belgien ist unter anderem ihretwegen seit Tagen im Daueralarm.

Gefährder, das sind zurzeit in Deutschland den Behörden zufolge rund 430 bekannte Personen, die „politische Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begehen könnten, also Attentate wie in Paris.

Und da liegt ein Problem. Begehen könnten bedeutet in der Praxis: Gefährder sind Menschen, die dem Rechtsstaat solange als freie Männer und Frauen auf der Nase herumtanzen dürfen, bis es zu spät ist. Denn böse Gedanken sind nicht strafbar, erst böse Taten. Die Behörden dürfen Gefährder also beobachten, ermahnen, aber sie können diese nicht vorsorglich aus dem Verkehr ziehen. Zumindest nicht, solange sie sich nicht offensichtlich strafbar machen.

Robert Baum aus Solingen war so ein Nasentänzer, ein Gefährder. Bis sich der eigentlich recht nette Solinger Mittzwanziger mit dem Flaumbart und dem sanften Lächeln vergangenes Jahr im Irak in die Luft sprengte und andere in den Tod riss.

Zuvor hatte Robert sich bei den Solinger Salafisten radikalisiert und war dann zum „Sprachelernen“ nach Ägypten entschwunden. Nach seiner Rückkehr wollte er erneut mit seinem Freund Christian Emde nach Ägypten. Emde ist heute medialer Sprecher des „Islamischen Staates“ (IS) und machte zuletzt Schlagzeilen als zynischer TV-Interviewpartner von Jürgen Todenhöfer.

Der Staatsschutz NRW wusste seit 2010 von Roberts Verwandlung, die aus dem unbedeutenden Einzelgänger einen Islamisten machte, der Gemeinschaft und Anerkennung nur bei seinen salafistischen Geschwistern zu finden glaubte: Seine Mutter hatte sich hilfesuchend an die Behörde gewendet. Doch Robert war in der Bundesrepublik rechtstaatlich nicht zu stoppen.

Vielleicht nicht ganz zufällig filzten die Briten dann 2011 das Duo Baum/Emde beim Betreten des Inselreiches und entdeckten brisante Lektüre, deren Besitz in Deutschland kein Problem war, in England jedoch schon: „Wie man in der Küche seiner Mutter eine Bombe baut“ und „39 Möglichkeiten den Jihad zu unterstützen“. Die Briten schickten die Deutschen nach Belmarsh, ein Hochsicherheitsgefängnis im Süden Londons.

Acht Monate später war Robert wieder da. Als freier Mann in Deutschland.

Am Flughafen nahm ihn nicht nur seine Mutter in Empfang, sondern auch zu seiner großen Freude ein Glaubensbruder-Duo. Von Reue oder Abkehr keine Spur. O-Ton Robert später in der Wohnung seiner Mutter: „Ich bin natürlich glücklich, wieder in Deutschland zu sein. Zusammen bei meinen Glaubensgeschwistern, bei meiner Familie, bei meiner Mutter. Im Endeffekt war es nicht so schlimm da, ich habe nette Leute kennengelernt, aber es ist natürlich besser, wieder hier zu sein.“ Auf die Zeitungsberichte über seine Radikalisierung und mögliche Terrorgefahr angesprochen, sagte er: „Ich bin mehr oder weniger geschockt, was sich alles für Material angesammelt hat. Das überrascht mich total. Als ich in England die Nachricht bekommen habe, dass das alles in der Presse ist, habe ich mir gedacht: Wegen so einer Lapalie, das kann doch nicht so viel sein.“

Lapalie? Bombenbau-Anleitungen und Jihad-Lektüre… Wenige Tage später machte Robert in einem weiteren Interview plötzlich deutlich, dass er sogar den Tod seiner Mutter und seines besten Freundes in Kauf nehmen würde, wenn dies dem Sieg seines „Glaubens“ dienen würde. Das sei zwar traurig, aber es sei für Allah. Gefährlich wirkte er dabei kein bisschen, eher wie ein besorgter Twen, der sich einer großen Aufgabe stellen müsse.

Robert Baum war ein Gefährder erster Klasse, den auch das Gefängnis nicht hatte entradikalisieren können. Im Gegenteil. Für viele Islamisten war er nun ein Held, der im Knast des Feindes gesessen hatte und sein Ziel weiter ungestört verfolgen konnte: sich und andere für eine vom IS gestaltete Gottes-Version in den Tod zu sprengen.

Wie will man zukünftig so jemanden wie Robert stoppen oder unter Kontrolle halten? Pro Gefährder wären rund 25 Beamte für eine Komplettüberwachung benötigt. „Die Welt“ bringt das Problem auf den Punkt: „Die Überwachung von Gefährdern hat große Lücken“.

Reicht der Beschluss des Bundestages, Verfassungsschutz und BND um 475 Stellen aufzustocken da schon?

Oder muss der Staat weitergehen? Viel weiter.

Frankreich will Syrien-Rückkehrer unter Hausarrest stellen und dafür die Verfassung ändern. Die Bewohner des US-Bundesstaates New York können den Behörden nun per App Terrorverdächtiges melden.

Big Brother und vorsorgliches Wegschließen?

Eine einfache Antwort wird es nicht geben. Nur eines ist klar: Der IS-Terror kann nur dann wirksam bekämpft werden, wenn die zivilisierten Staaten gemeinsam an einem Strang ziehen. Die Chancen stehen gut dafür. Und dann hätte der IS etwas erreicht, was er garantiert nicht wollte: seine Gegner und die aufgeklärte Welt ein Stück zu einen.

Urs-Martin Kellner, Autor in Hamburg, schreibt die OC-Kolumne „Rechts gedreht“ jeden zweiten Mittwoch.

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Urs-martin kellner - 26. November 2015

Liebe Zaunkönigin, wie wahr: Viele Deutsche wünschen sich Sicherheit, fürchten aber jede staatliche Kontrollmaßnahme wie der Teufel das Weihwasser. Ich bin durchaus der Meinung, dass wir in einigen Bereichen einen "Überwachungsstaat" brauchen, der die Freiheit der Allgemeinheit schützt, indem er die Freiheit von gewaltbereiten, gewaltverherrlichenden Verfassungsfeinden beschränkt. Auch räumlich. Was haben das Horten von Bombenbauplänen, die Verherrlichung und das Propagieren des Jiahds bitte mit Meinungsfreiheit zu tun? Nichts.

Rückblickend muss man sagen, Robert Baum hätte nicht nur in England, sondern auch in Deutschland in eine JVA gehört. Das hätte zwar seine Enstellung nicht geändert, aber andere geschützt. So konnte er ungehindert Menschen in den Tod reißen.
Nur: Wer hätte das 2012 SO voraussagen können? Selbst seine eigene Mutter, die Hilfe beim Staatsschutz suchte, konnte sich ihren Sohn nicht als Mörder vorstellen.
2012 wirkte Robert wie ein netter Junge, der zwar durchgeknalltes Gedankengut von sich gibt, hier und da provoziert. Aber Menschen ermorden? Schwer vorstellbar, dass aus dem scheinbaren Geschwätz eines Tages echte Taten erwachsen würden. Leider sehen Menschen, die töten wollen, nicht wie Monster aus. Robert schon gar nicht. Robert gab Besuchern brav die Hand, lächelte oft, war zum Teil schüchtern, wäre die perfekte Besetzung für einen freundlichen Altenpfleger gewesen. Ich denke, die Existenz der Gefährder hängt sehr stark an der Existenz des IS. Seine "Strahlkraft" motiviert Jugendliche überhaupt erst, sich diesen scheinbaren Gotteskriegern anzuschließen. Eine Art Drittes Reich mit "Staatsgebiet", Propagandamaschinerie - alles sehr verlockend für orientierungslose "Wut-Jugendliche". Ich möchte Ihnen dazu ein wunderbares Zeit-Interview mit Regisseur Milo Rau empfehlen, das sich mit meinen eigenen Rechercheerfahrungen deckt: http://www.zeit.de/kultur/2015-11/milo-rau-interview-bruessel-salafismus/komplettansicht
Rau hat durch viele Gespräche im Milieu ziemlich einzigartige Einblicke und Einsichten gewonnen.

Zaunkoenigin am 25. November 2015

Danke, Herr Kellner, für Ihre Zusammenfassung! Es war an der Zeit dass das jemand tut.

Wer spricht denn von 24/7 Überwachung? Oh, wir wären schon einen Schritt weiter, wenn man die rechlichen Möglichkeiten bei solchen Personen, die eindeutig eine Gefahr darstellen, überhaupt erst einmal ausschöpfen würde. Aber z.Zt,. sieht das noch wie folgt bei uns aus:
http://www.ardmediathek.de/tv/REPORT-MAINZ/Sendung?documentId=310120&bcastId=310120#/tv/REPORT-MAINZ/Hilflos-gegen-Hassprediger/Das-Erste/Video?documentId=31855176&bcastId=310120

Ja was will man denn hier? Sicherheit aber keinen Preis dafür bezahlen und bitteschön weiterhin möglichst liberal und verständnisvoll und tolerant und was weiß ich noch alles sein.

Und gleich höre ich sie wieder heulen .. meine freiheitsliebenden Mitbürger .. aus Angst vor einer Beschneidung ihrer Freiheit. Tja, die Frage ist, was das für eine Freiheit sein wird, wenn wir das so weiter laufen lassen wie bisher. Und wo die Freiheit wäre, wenn wir in einem Land leben müssten das den Vorstellungen des IS entspräche.

Zaunkoenigin am 27. November 2015

Für diesen Link, Herr Kellner, vielen Dank! Er ist in der Tat interessant und lohnt mehrfach gelesen zu werden. Jedenfalls lohnt es über die Argumente etwas länger als nur einen Wimpernschlag lang nachzudenken.

In einem stimme ich jedoch nicht zu. Im Vergleich RAF IS und das was IS treibt nicht Krieg genannt werden sollte. Der IS ist eine ganz andere Hausnummer, schon alleine aufgrund seines weltweiten Agierens und der Anzahl der Krieger. Und wirklich vergleichbar ist das für mich auch nicht. Da gibt es wesentliche Merkmale die sich unterscheiden. Eines davon ist, dass IS ganze Gebiete besetzt.

Auch 2012 hätte es gelohnt diesen jungen Menschen unter psychologische Betreuung zu stellen. In welcher Form auch immer. Es ist nun wirklich nichts neues, dass Menschen die von Gewalt fantasieren irgendwann auch dazu übergehen können. Die Gefahr hätte man erkennen müssen. Das hat nichts mit IS zu tun. Ebenso wie man diesen Hassprediger den ich verlinkt hatte, zumindest hätte ausweisen müssen. Ich hätte ja auch mit einer Verurteilung zu rechnen, wenn ich behaupten würde es habe nie KZs gegeben und Hitler sei ein armes Opfer und Juden seien unreine Existenzen. (Ich schreibe es zur Sicherheit: NEIN, das spiegelt nicht meine Meinung wieder)

Ich bin der Meinung, dass es sich unsere Ordnungshüter allgemein sehr leicht machen. Nicht nur in diesem Kontext. Und warum hätte sich die Mutter Hilfe suchen sollen, wenn es "nur" um ein paar durchgeknallte Gedanken gehandelt haben sollte? Was hat sie denn befürchtet wenn es nicht um Gewaltanwendung ging?
Ich habe den Eindruck, dass es sich unser Rechtstaat vor lauter Liberalismus schon sehr lange sehr leicht macht. Bei uns muss immer erst etwas real passiert sein bevor man genauer hin schaut.

Haben wir eigentlich eine Antwort darauf, warum sich ausgerechnet in Brüssel die IS-Anhänger derart stark gruppieren? Gettos haben wir doch in jedem europäischen Land.

phatterdee am 29. November 2015

Ich sehe das Anders:
Unsere Gesätze sind voll kommend ausreichend !
Und wer bestimmt wer ein Gefäder ist und wer nicht ein Computer programm ein K.I. ? Ich Sie ? Die Politik oder Polzei ? Und wenn mit meiner Freundin jetzt schluß ist wegen betrug dann solte man mich auch weg schließen könnte dann ja was doofes machen oder wie soll ich das verstehen.
Ein Freier Jornalist findet ein Staatsgeheimis herraus ala Snowden dann ist der doch auch ein gefähder und wenn es nur die Wieder wahl ist. Im 3. Reich gab es solche Gesetze.
Warum Sicken wir nicht 25 Sozialarbeiter in die Brennpunkt Viertel, vieleicht sollten wir an der chancen gleichheit in unserem Land was ändern, damit wir nicht die verhältnise in Frankreich bekommen.
Und Sollten aufklärung in der Schule schon früh leisten damit die sogenaten Hassprediger nicht mehr mit ihren Ideologien an diese menschen ran kommen können. Wir müssen auch die Westliche Außenpolitik ändern weniger steheln mehr faire trade. Aber ich sehe es schon kommen das zu teuer da machen wir lieber schwammige Gesätze die jeder auslegen kann wie er will, und krieg bring aufträge für unsere achso arme Rüstungs Industrie.

Zaunkoenigin am 2. Dezember 2015

phatterdee , entschuldigen Sie die Direktheit .. aber.. es muss raus.

Was für ein Blödsinn, was für eine Verkennung der Situation. Als ob wir nur innerhalb Europas dieses Problem hätten. Der Krieg tobt doch vor allem (vorerst) in den arabischen Ländern. Wir sind (noch) nur Nebenkriegsschauplatz.

Was haben den Ihrer Meinung nach die besetzten Gebiete falsch gemacht?

phatterdee am 7. Dezember 2015

@ Zaunkönigen
Wechel bestzen gebiete meinen sie denn jetzt ? Frankreich ? nicht das ich das Falsch verstehe ah Sie mich
ich meinte mit 25 Sozialarbeiter sollten in bezirken in Deutschland eingestezt werden nicht in anderen Ländern. Weil um auf den Artikel zurück zu kommen waren ausgenommen von 9/11 alle Terror anschläge von einheimischen bzw. pass besitzern verübt worden, und meine Überlegung war nun wie bei den Nazis durch Bildung und bessere chancen auf dem Arbeitsmarkt diese Gefähreder quasi der Al Kaida unter dem Arsch weg zu schnappen und in unsere gesellschaft zu Intigrieren.
Und nein wir sind nicht Nebenschauplatz wenn Meine Bürgerrechte jetzt/bald erneut eingeschrängt werden weil im Nachbarland ein terrorakt statt fand ! ich Sage die Gestezte reichen aus!

Zaunkoenigin am 7. Dezember 2015

patterdee.. schauen Sie sich die Karte an .. dann wissen Sie welche Gebiete ich meine. ok.. man nennt es vom IS "kontrolliert" was letztendlich aufs gleiche raus kommt.
http://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_69822014/vormarsch-der-islamisten-obama-droht-mit-militaeraktion-im-irak.html

Ihre Sozialarbeiter sind so was für die Katz weil das nicht das Kernproblem löst. Ihr Ihr mea culpa auch. Die bringen nämlich Menschen um die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben was unsere Gesellschaft falsch macht.

Dass es in unserem Land viel zu verbessern gäbe steht außer Frage - nur in diesem Kontext halte ich solche Aussagen für das wie ich das genannt habe.

Und Sie haben es immer noch nicht begriffen .. der Terrorakt im Nachbarland galt im gleichen Umfang unserem Land.

Und wenn Sie schon so schön polemisieren.. ich kann das auch und stelle Ihnen somit die Frage wo denn Ihre Bürgerrechte sein werden, wenn unser Land vom IS kontrolliert werden würde.