Kalter Krieg mit Kettenreaktion
Die Europäer müssen sich warm anziehen. Im Verhältnis zu Russland, aber auch im europäischen Binnenverhältnis droht eine neue Eiszeit mit unabsehbaren Folgen.
Die Äußerungen des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew und anderer Redner auf der Münchner Sicherheitskonferenz waren eindeutig: Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs herrscht zwischen Russland und dem Westen wieder Kalter Krieg. Orchestriert wurden Medwedews Warnungen vor einem „dritten Weltschock“ von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er verwies darauf, dass der Einsatz von Atomwaffen unverändert Teil der westlichen Abschreckungsdoktrin sei. Zugleich warf Stoltenberg den russischen Truppen das demonstrative Üben mit Kernwaffen vor.
Die Welt steckt unversehens in einer Situation wie vor mehr als 50 Jahren. Mit einigen Unterschieden: Die Sowjetunion existiert nicht mehr, der Warschauer Pakt ist aufgelöst, Deutschland wiedervereinigt. Und noch funktioniert der Dialog der alten Kontrahenten halbwegs reibungslos.
Die Gründe für die neue Eiszeit sind vielfältig: die Aufnahme früherer Sowjetrepubliken und einstiger Satelliten der UdSSR in Nato und EU, die Annektion der Krim durch Russland, der Konflikt um die Ost-Ukraine. Über allem aber sorgt der Bürgerkrieg in Syrien für Zündstoff. Das geschundene Land ist Schauplatz von Stellvertreterkriegen um die Vorherrschaft in der Region. Ob der in München vereinbarte Waffenstillstand überhaupt in Kraft tritt und hält ist nicht ausgemacht.
Amerikaner, Briten und Franzosen bombardieren – mit Unterstützung zweier nur eingeschränkt einsatzfähiger deutscher Aufklärungs-Tornados – Stellungen des IS. Der Nato-Partner Türkei führt Krieg gegen die Kurden, deren irakische Brüder mit deutschen Waffen und ausgebildet von Deutschen gegen die selbsternannten Gotteskrieger vom IS bekämpfen. Der Iran unterstützt den alavitischen Machthaber Baschar al-Assad, derweil Saudi-Arabien dessen sunnitische Widersacher bewaffnet und ausbildet.
Und dank massiver russischer Luftangriffe auf Aleppo scheint Machthaber Baschar al-Assad die Oberhand in dem seit fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg mit seinen Hunderttausenden Toten zu gewinnen. Mit jeder Bombe, die russische Flieger auf Aleppo abwerfen, werden neue Flüchtlingsbewegungen gen Deutschland ausgelöst.
Das wiederum beeinträchtigt auf lange Sicht die innere Stabilität der Bundesrepublik, ist Wasser auf die Mühlen von AfD und Pegida. Das passt wiederum dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Konzept, der zumindest den rechtsextremen Front National in Frankreich finanziell unterstützt, und zudem die Teile der Russland-Deutschen als fünfte Kolonne instrumentalisiert, wie die russische Reaktion auf die angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen durch Flüchtlinge zeigt.
Und die Europäer? Sie demonstrieren erneut, dass ihnen das nationale Hemd näher ist als die europäische Jacke. Nach den mittelost-europäischen Ländern lehnte am Wochenende auch Frankreich die Aufnahme zusätzlicher Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syren und dem Irak an.
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Rückzieher des engsten Verbündeten eine schwere Schlappe. Sollten die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März für die CDU mit Niederlagen enden, dürfte das Ende der Kanzlerschaft Merkels bevorstehen.
Volker Warkentin, Autor in Berlin, hat schon als junger Reuters-Journalist in den späten 1970er Jahren den Ost-West-Konflikt beschrieben und analysiert.