Wie Angela Merkel den Absprung verpasst
Die Kanzlerin lässt offen, ob sie noch einmal zur Wahl antritt. Dabei ist klar: Sie wird es tun. Und damit den gleichen Fehler machen wie einer ihrer Amtsvorgänger.
Es war einer dieser Sätze, die so typisch sind für Angela Merkel. Kein Ja, kein Nein, sondern eine verschmiemelte Antwort, die auf Zeit spielt.
Ob sie im nächsten Jahr noch einmal als Kanzlerin antreten werde, wurde sie im ARD-„Sommerinterview“ gefragt. Antwort: „Über die Frage, wie ich mich bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt ja dann auch Bericht erstatten oder die Aussage machen.“
Warum zaudert sie so? Natürlich kann sie jetzt noch nicht Ja sagen, denn die CSU, die wegen der Flüchtlingsfrage unionsintern immer noch herumzickt, hat sich offen gehalten, ob die Merkel unterstützen wird. Erst im kommenden Frühjahr wollen sich die Christdemokraten erklären.
Es ist eine alberne Taktiererei der konservativen Separatisten aus dem Süden. Was denn, falls sie sich wirklich Merkel verweigern? Mit wem will die Union als Kanzlerkandidat antreten? Mit Horst Seehofer? Mit Ursula von der Leyen? Mit einem Kompromisskandidaten wie Thomas de Maiziére?
Es wäre völlig egal, denn eine Regierungspartei, die kurz vor der Bundestagswahl die Pferde wechselt, wird die Wahl auf jeden Fall verlieren. Das dürfte irgendwann auch den Christsozialen dämmern, und so dürfen wir davon ausgehen, dass der Kanzlerkandidat der Union wieder Angela Merkel heißen wird.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Wahl noch einmal gewinnt und dann ein schwarz-grünes Bündnis bastelt, ist recht hoch. Zumindest, solange die SPD weiter in ihrem 24-Prozent-Tal dümpelt und ihr Vormann der irrlichternde Sigmar Gabriel ist.
Im Herbst 2017 wird Merkel dann in ihr 13. Kanzlerjahr gehen und in ihre vierte Legislaturperiode. Vier Legislaturperioden lang war auch Helmut Kohl Kanzler. Angela Merkel hat einmal gesagt, dass sie nicht wie er aus dem Amt gejagt werden möchte.
Es gibt gute Gründe, weshalb Merkel Kanzlerin bleiben sollte: der Zustand Europas, die Staatsschuldenkrise, die anstehenden Brexit-Verhandlungen, die Flüchtlingsfrage, Wladimir Putins Retro-Imperialismus. Jedenfalls ist in der EU niemand zu sehen, der es in puncto Erfahrung, Routine und Vernetzung mit ihr aufnehmen könnte. Und wir dürfen davon ausgehen, dass Merkel – in einer Mischung aus Unentbehrlichfühlen und protestantischem Arbeitsethos – glaubt, dass niemand anders diese Herausforderungen meistern kann.
Das Problem der Kanzlerin ist, dass es die meisten dieser Probleme auch in drei Jahren noch geben wird, also zur Mitte der kommenden Legislaturperiode. Das aber ist der letzte Zeitpunkt, zu dem sie die Kanzlerschaft einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin übergeben könnte. Denn die brauchen zwei Jahre, um sich im Amt zu etablieren und um überhaupt eine Chance zu haben, die folgende Wahl gewinnen zu können.
Angela Merkel, deren Beliebtheit bei den Wählern schon jetzt deutlich sinkt, wird wegen der vielen europäischen Probleme, die sie meint lösen zu müssen, auch dieses Absprungtermin verpassen. Und damit das gleiche Schicksal erleiden wie ihr einstiger Ziehvater Helmut Kohl.
Andreas Theyssen, Autor in Berlin, beobachtet die Politikerin Angela Merkel seit deren Karrierestart 1990 in der Nach-Wende-DDR.