Die Selbstentzauberung der Ursula von der Leyen

Von Andreas Theyssen am 24. Oktober 2016

Die Verteidigungsministerin wollte das Beschaffungswesen der Bundeswehr reformieren. Inzwischen hat sie sich in einem Geflecht aus industriellen und parteipolitischen Interessen heillos verfangen.

Ursula von der Leyen traut sich viel zu, nicht nur das Amt der Bundeskanzlerin. Zum Beispiel mit dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Beschaffungswesen der Bundeswehr aufzuräumen. A400M, Kampfhubschrauber „Tiger“, Eurofighter, die Drohne „Eurohawk“ – sie stehen für eine nicht enden wollende Serie von Pech, Pleiten, Pannen. Verspätete Auslieferung, heillos überzogene Kostenrahmen, ständig nachzubesserndes Material – das war der Alltag beim Ausrüsten der Bundeswehr. Bis von der Leyen kam.

Sie wollte damit Schluss machen. Und machte viel richtig. Mit Kathrin Suder ernannte sie eine Unternehmensberaterin zur Rüstungsstaatssekretärin, ließ das Beschaffungswesen von Unternehmensberatern durchleuchten, organisierte neue Verfahren, sogar europäische Ausschreibungen, um Gemauschel im deutschen politisch-industriellen Komplex vorzubeugen.

Drei Jahre nach Amtsantritt ist die Verteidigungsministerin gescheitert, und zwar furios.

Das erste Rüstungsprojekt, das sie nicht von ihren Vorgängern geerbt hat, war das Raketenabwehrsystem TLVS, auch als Meads bekannt. Obwohl es nicht fertig entwickelt ist, obwohl bereits die USA wegen Zeit- und Kostenüberschreitungen aus dem Gemeinschaftsprojekt ausgestiegen waren, obwohl mit dem System Patriot eine ausgereifte und kostengünstigere Alternative bereitstand, entschied sich von der Leyen für das System TLVS. Die CSU hatte Druck gemacht, weil das Abwehrsystem vor allem in Bayern entwickelt wird. Dieser Tage bekam die Ministerin die Quittung: Die Kosten für das System haben sich auf mindestens sieben Milliarden Euro fast verdoppelt.

Der nächste Flop: die Fregatte MKS 180. Die Deutsche Marine, die auf 58 Schiffe zusammengeschnurrt ist, braucht dringend neue Schiffe. Der Grund: Die Politik verschafft ihr ständig neue Aufgaben, vor den Küsten Somalias, vor Libyen, vor dem Libanon, im Mittelmeer. Die Ausschreibung für die vier bis sechs Fregatten ist eigentlich fertig, doch von der Leyen verzögert die Bestellung. Anstatt im Frühjahr soll die Entscheidung erst ein Jahr später fallen. In Verteidigungskreisen wird sogar von einer Verschiebung um drei Jahre gesprochen. Mitten im Bundestagswahlkampf traut sich die Ministerin nicht, ein Milliardenprojekt zu bestellen.

Den größten Flop aber erlaubt sich von der Leyen mit der Korvette K 130 – weil sie sich dort die Beschaffung völlig aus der Hand nehmen lässt. Noch im Frühjahr erklärte ihr Ministerium, es bestehe kein Bedarf an Korvetten. Doch nun sind die Haushaltspolitiker Johannes Kahrs (SPD) und Eckhard Rehberg (CDU) vorgeprescht, und wollen im Etat mal eben 1,5 Milliarden Euro für fünf neue Korvetten losschlagen; Finanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits zugestimmt. Und was macht von der Leyen? Nickt freundlich dazu.

Natürlich braucht die Deutsche Marine dringend neue Schiffe. Doch die Hauruck-Aktion von Kahrs und Rehberg hat zwei Schönheitsfehler.

Zum einen: Mit dem Korvetten-Projekt machen sich die beiden Bundestagsabgeordneten selber ein Geschenk. Gebaut würden sie in Kahrs’ Wahlkreis Hamburg und stationiert in Rehbergs Wahlkreis. Zum anderen: Die Korvette K 130 gilt als Flop. Eine erste Tranche wurde mit 54 Monaten Verspätung ausgeliefert, kostete 120 Millionen Euro mehr als geplant, hat ein Design aus den 1990er Jahren und ist sehr reparaturanfällig. Die Schiffsrümpfe zum Beispiel sind so dünn, dass beim Rostabschleifen ständig die Mindestdicke unterschritten wird.

Vor allem aber: Es gibt eine Alternative. Vom kommenden Jahr an werden in Kiel vier modernisierte Korvetten des Typs K 130 für die israelische Marine gebaut, bei denen die Kinderkrankheiten des deutschen Typs behoben sind. Entwickelt wurden sie mit deutschen Steuergeldern, im Rahmen der Berliner Staatshilfen für Israel.

Doch nicht sie soll die Deutsche Marine erhalten, sondern die alten Typen. Im Klartext: Die Marine bekommt den Schrott, Israel das moderne Schiff. So wollen es Kahrs, Rehberg – und von der Leyen.

Drei eigene Rüstungsprojekte hat die Ministerin in ihrer Amtszeit angeschoben. Dreimal hat sie sich für die Murksvariante entschieden. Seit Karl-Theodor zu Gutenberg hat sich kein deutscher Verteidigungsminister selber so demaskiert wie Ursula von der Leyen.

Andreas Theyssen, Autor in Berlin, befasst sich seit den 1990er Jahren mit den Themen Bundeswehr und Rüstungsprojekte.

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