Bundesnachrichtendienst – außer Rand und Band
Die beschlossene Reform des BND-Gesetzes ist ein Freibrief zur Massenüberwachung der Bürger. Dass bisher Verbotenes nun legal ist, macht die Sache auch nicht besser.
Bundeskanzler Helmut Schmidt legte die Berichte des BND ungelesen zur Seite. Die Lektüre lohne nicht, und der Geheimdienst sei viel zu teuer, pflegte er zu sagen. Vor allem aber seien die Korrespondentberichte von „Frankfurter Allgemeine“ und „Neue Zürcher Zeitung“ viel informativer. Schmidt regierte mitten im Kalten Krieg, und der BND hatte in der Systemauseinandersetzung mit der „Hauptverwaltung Aufklärung“ von Stasi-General Markus Wolf schlechte Karten: Die DDR hatte Bundesministerien, europäische Einrichtungen und die Nato nahezu flächendeckend infiltriert. Nach BND-Agenten in der DDR suchte man dagegen vergebens.
Zu Schmidts Zeiten leisteten die Geheimdienste noch viel Hand- und Fußarbeit. Sie waren auf Informationen von „Maulwürfen“ angewiesen, die Ihr Land verraten hatten. Unter den Überläufern waren Wichtigtuer, Trinker, Spieler oder Psychopaten, deren Aussagen nicht immer der Wahrheit entsprachen und die nicht jeder kritischen Überprüfung standhielten.
Darum setzten die Geheimdienste verstärkt auf die elektronische Aufklärung. Mit großen Radarantennen hörten sie den internationalen Telefon- und Fernmeldeverkehr ab, und der BND war beim Herausfischen relevanter Informationen erfolgreicher als im Einschleusen von Agenten in Schlüsselpositionen beim Gegner.
Mit der Entwicklung der Technik saugten die geheimen Dienste immer mehr Informationen an, und das oft außerhalb der Legalität. Der Bundesnachrichtendienst war im Schlepptau des US-Dienstes NSA äußerst aktiv. Er schreckte nicht davor zurück, trotz Verbots befreundete Länder in EU und Nato auszuforschen. Die Amerikaner waren so dreist, das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel anzuzapfen. Daran zeigt sich, was von Freundschaftsbekundungen angeblich enger Partner zu halten ist.
Statt den Geheimdienst nach diesen Fehlleistungen an die Kandare zu nehmen, ließ der Gesetzgeber dem BND lange Leine. Dient doch dem guten Zweck der Terrorabwehr, hieß es zur Begründung, Zwar sollen Aktionen gegen befreundete Staaten nur noch im Ausnahme- und Einzelfall stattfinden dürfen. Sie müssen ferner vom Kanzleramt genehmigt werden, das wiederum ein aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt bestehendes neues Gremium über brisante Aktionen unterrichten muss.
Außerhalb der EU sind dem BND dagegen keine Schranken mehr gesetzt. Der Dienst darf künftig ganze Telekommunikationsnetze abhören. Bisher konnte er nur 20 Prozent des Datenverkehrs abgreifen. Außerdem soll der Geheimdienst auf Infrastruktur in Deutschland zurückgreifen dürfen und Daten mit Partnerdiensten automatisch austauschen. Das alles ist verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft. Wenn dann noch Vertreter der Koalition hoch und heilig versichern, alles gehe streng rechtsstaatlich zu, dann ist Misstrauen grundsätzlich richtig.
Hinzu kommt, dass so genannte Geheimnisträger wie Journalisten, Geistliche oder Anwälte von einer Ausforschung durch den BND nicht ausgenommen sind. Reporter ohne Grenzen warnt bereits vor einem „Verfassungsbruch mit Ansage“, weil Berichterstatter aus Nicht-EU-Ländern nun praktisch schrankenlos überwacht werden können.
Ob die Gesetzesänderung zu durchgreifenden Erfolgen im Kampf gegen Terroristen, Waffenschieber und Schleuser führen wird, darf bezweifelt werden. Viel mehr steht zu befürchten, dass die Sammel- und Aufbewahrungswut der Dienste zu einer Informationsflut führen wird, die niemand bewältigen kann. Das Beispiel mag hinken, ist aber dennoch treffend: Die angeblich so effektive DDR-Staatssicherheit ersoff in einem Meer von Berichten, die ihr mehr als 150.000 Inoffizielle Mitarbeiter zulieferten. Das blockierte den VEB Horch, Guck und Greif derart, dass er im entscheidenden Augenblick – dem Himmel sei Dank – nicht mehr handlungsfähig war.
Volker Warkentin, Autor in Berlin, hat sich als Reuters-Journalist jahrzehntelang mit Fragen der inneren und äußeren Sicherheit beschäftigt. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint immer dienstags.