Der richtige Mann – und ein Armutszeugnis

Von Volker Warkentin am 15. November 2016

Die Entscheidung für Frank-Walter Steinmeier als neuen Bundespräsidenten ist großartig. Aber der gemeinsame Vorschlag von Union und SPD zementiert auch das schwarz-rote Bündnis. Die Hauptschuld daran trägt die Opposition.

Trump, Le Pen, Putin, Erdogan, Pegida, AfD, Reichsbürger, Identitäre, FPÖ – ihr Vormarsch gegen die Freiheit scheint unaufhaltsam. Sie bedrohen die westlich-liberale Demokratie, beschleunigen mit ihrem Hass auf Migranten, Schwule, Journalisten, Richter und Muslime den Verfall von Werten. Sie machen wütend, und Wut verzerrt das Gesicht.

Frank-Walter Steinmeier hebt sich wohltuend von dieser Melange aus Tyrannen, Rattenfängern , Verschwörungstheoretikern und Hasspredigern ab. Der SPD-Politiker steht in Zeiten von Unruhen, Unsicherheiten und dem Wachstum des Populismus für Kontinuität. Als Präsident würde er nahtlos an Joachim Gauck anschließen, der im Berliner Schloss Bellevue eine hervorragende Arbeit geleistet hat.

Steinmeier hat als Außenminister in zahlreichen Konflikten vermittelt und verfeindete Parteien an einen Tisch gebracht. Das war nicht immer von Erfolg gekrönt, steht aber für das Bemühen Deutschlands um Frieden und Vermittlung, Gelegentlich hat Steinmeier sogar das sichere diplomatische Parkett verlassen und Tacheles geredet: So nannte er den gewählten US-Präsidenten Donald Trump einen Hassprediger.

Die Entscheidung der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD für Steinmeier enthält zugleich die Botschaft, dass es der Bundesregierung mit dem Zusammenhalt in der Europäischen Union ernst ist. Deutschland ist ja nicht nur das größte Land in der Union, sondern auch das mit den meisten Nachbarn. Insofern könnte der Wechsel Steinmeiers in das höchste deutsche Staatsamt ein Befreiungsschlag gegen die Fliehkräfte in Europa sein. Diese Botschaft würde noch verstärkt, wenn mit dem Sozialdemokraten Martin Schulz ein überzeugter Europäer Steinmeier im Auswärtigen Amt nachfolgte.

SPD-Chef Sigmar Gabriel ist mit der Einigung auf Steinmeier eine taktische und strategische Meisterleistung gelungen, die ihm niemand zugetraut hätte. Die Kanzlerkandidatur ist ihm nicht mehr zu nehmen. Beschämend für die Union ist, dass sie niemanden aufzustellen vermochte, der Steinmeier das Wasser reichen könnte.

Die Entscheidung der Koalition für Steinmeier ist zugleich eine Weichenstellung für die Fortsetzung von Schwarz-Rot nach der Bundestagswahl 2017. So wie es jetzt aussieht, steht nun die vierte Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel bevor. Damit hat sie gute Chancen, Helmut Kohls Rekord von 16 Kanzlerjahren einzustellen

Dass nun vier weitere Jahre Merkel bevorstehen, ist auch der preisverdächtigen Dummheit der Opposition zu verdanken. Mit der Entschlossenheit der SPD, Steinmeier auf jeden Fall zu nominieren, um ihn im dritten Wahlgang gewinnen zu lassen, war eine Vorentscheidung für Rot-Rot-Grün im Bund verbunden. Allein die Linke in ihrer Dogmatik lehnte Steinmeier ab, weil er in ihren Augen der Architekt der Hartz-Gesetze und der Auslandseinsätze der Bundeswehr ist. Da bleibt man lieber in der Opposition statt in der Regierung Politik zu gestalten.

Und die Grünen haben mit ihrer Lust am Fundamentalismus das zarte Pflänzchen einer schwarz-grünen Koalition zertreten. Auf dem Parteitag in Münster stießen sie die Union mit ihren radikalen Beschlüssen zur Vermögensteuer und zum Verbot von Benzin- und Dieselautos ab 2030 das Törchen zur Union zu. Und demontierten en passant ihren Spitzenmann Winfried Kretschmann. Merkel war immerhin bereit, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten das Präsidentenamt anzubieten.

Der SPD droht nun die Babylonische Gefangenschaft bei den Unions-Parteien. Grüne und Linkspartei haben sich mit ihrem Dogmatismus zur ewigen Opposition verdammt. Auch so kann Kontinuität aussehen – und die macht dann wieder wütend.

Volker Warkentin, Autor und Journalist in Berlin, hat seit der Wahl des SPD-Politikers Gustav Heinemann 1969 sämtliche Abstimmungen über das Staatsoberhaupt begleitet. Seine nächste OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint wieder in zwei Wochen.

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