Europas Süden bebt
Die Italiener stimmen am Sonntag über eine Verfassungsreform ab, und die Zeichen stehen auf Nein. Den Reformgegnern geht es nicht um die Sache, sondern um den Sturz von Ministerpräsident Matteo Renzi.
Matteo Renzi will entbürokratisieren: Kernstück der Reform ist die Entmachtung des italienischen Senats. Mit seinen bislang 315 Mitgliedern wirkt er gleichberechtigt neben der Deputiertenkammer an der Gesetzgebung mit. Das kann dazu führen, dass die eine Kammer einem Gesetzentwurf zustimmt, während die andere Nein sagt. In der Folge braucht es viel Geschick und Engelsgeduld, um beide Seiten miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Das kostete Zeit und endete oft in der Blockade.
Nun soll der Senat zu einer Art Bundesrat umgebaut werden. Die bisher vielfach aus abgehalfterten Polit-Größen gebildete Kammer wird auf 100 Mitglieder verkleinert. Und mitbestimmen wird das Gremium nur noch in Fragen, welche die Regionen betreffen.
Eine vernünftige Lösung, fand nicht nur Renzi, sondern auch sein ewiger Rivale Silvio Berlusconi, der an der Reform mitwirkte.
Doch je näher der Abstimmungstermin rückte, desto größer wurden plötzlich die Vorbehalte. Die Regierung werde zu stark, unkten die einen und taten so, als sei Renzi ein Wiedergänger vom Diktator Benito Mussolini. Wir wollen auch die Entmachtung des Senats, sagten die anderen, aber Renzi gönnen wir den Erfolg der Reform nicht.
Und so stehen sie im Populismus vereint gegen Renzi: von der linken Bewegung Fünf Sterne des Berufs- und Politkomikers Beppo Grillo bis zur Lega Nord, die es an Fremdenfeindlichkeit mit der Pegida aus Sachsen aufnehmen kann. Auch Berlusconi, der Vater aller Paten, ist wieder von der Partie, weil er sich im zarten Alter von 80 Jahren ein politisches Comeback erhofft.
Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, der im hochverschuldeten und krisenanfälligen Italien gerade aufgeführt wird. Die Parteien sind in organisierter Verantwortungslosigkeit vereint. Auch die Genossen von Renzis Demokratischer Partei lassen den Florentiner im Regen stehen. Sei sind ihm gram, weil er aus dem losen Verbund von Sozialisten, linken Christdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern eine schlagkräftige Partei machen will und dabei ihre alt-linken Wärmestuben ausgemistet hat.
Sollte Renzi scheitern und zurücktreten, werden wieder Zweifel an der Bonität des Landes laut. Damit droht Italien eine Verschärfung der Schulden- und Finanzkrise. Deren Ausmaße würden weit über die der Jahre 2008 und 2009 hinausgehen. Sie könnten die gesamte Europäische Union ins Mark treffen. Man sieht die Katastrophe regelrecht auf Europa zurollen.
Volker Warkentin, Autor in Berlin, tut sich mit dem Erwerb der italienischen Sprache schwer, fühlt sich im Sehnsuchtsland Millionen Deutscher aber trotzdem seit mehreren Jahren zu Hause. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint immer dienstags.
Lars am 29. November 2016
Entschuldigung, aber die hier aufgezeigten "Tatsachen" sind vollkommener Quatsch. Den Menschen in Italien geht es darum die Spar- und Bankenregelungen der EU zu kippen - Im Zweifel durch den Austritt aus dem Euro und der EU. Warum? Weil es in Italien kein Rentensystem gibt und die Italiener ihre Vorsorge als Kapital auf der Bank liegen haben. Diese würden aber einkassiert, wenn Italien seine Banken nicht retten darf. Grillo will die Guthaben der Menschen retten, Renzi seine Macht ausbauen und sichern. Die Schuld daran trägt übrigens Deutschland, welches seine Politik ohne Sinn und Verstand anderen Ländern aufzwingt.
Ich empfehle zur Schulung dringend ein Gespräch mit ein paar unabhängigen Volkswitschaftlern, z. B. Herrn Professor Flassbeck.
Zaunkoenigin am 30. November 2016
@Lars,
da liegen mir aber andere Informationen vor.
Insgesamt gilt das italienische Rentensystem als nachhaltig finanziert. Seit 2012 beträgt das Renteneintrittsalter für Frauen 62 Jahre. Bis 2018 wird es auf 66 Jahre angehoben. Männer erhalten die Altersrente bereits seit 2012 erst ab 66 Jahren. Seit der Dini-Reform bemessen sich die Rentenzahlungen nicht mehr nach den Löhnen, sondern nach den tatsächlich geleisteten Beiträgen.
Hinzu kommt bei AN noch die zweite Säule. Derzeit behalten die Unternehmen einen Teil des Lohns ein, der am Ende des Arbeitsverhältnisses ausbezahlt wird. Diese Summe, genannt «Trattamento di fine rapporto» oder TFR, wird eher niedrig verzinst. Sie ist vor allem hilfreich für kleine Betriebe und Mittelständler, die sie als günstige Finanzierungsquelle nutzen. Alternativ steht seit einigen Jahren die Option offen, das Geld in eine Pensionskasse einzahlen zu lassen.
Soweit mir bekannt ist erhält in Italien jeder, auch der, der nie in das System einbezahlt hat, mit 65 eine Mindestrente. D.h. zu behaupten es würde in Italien kein Rentensystem geben ist nicht korrekt.
Zaunkoenigin am 1. Dezember 2016
was für ein unqualifiziertes gevote! Rote Daumen für eine sachliche Aussage? Entweder man widerlegt sie, oder man hält die Finger still. Das hier ist einfach nur plumpes Gestänkere ohne Sinn und Verstand.
Lars am 7. Dezember 2016
Das Rentensystem in Italien ist durch das Verfassungsgerichtsurteil, die Basteleien der letzten Jahre und die mangelnde zweite Säule für viele Menschen dort unten einfach nicht ausreichend. Zu Zeiten der schwachen Lira (mehrfach abgewertet) wurde einfach zu wenig einbezahlt um jetzt mit dem starken Euro genug heraus zu bekommen. (Unter 5300 Euro Einkommen bedeutet etwas mehr als 400 Euro Rente!) Das ist als hätte man hier die Renten der ehemaligen DDR einfach in Euro umgerechnet. Also haben viele Privat vorgesorgt. Während das Pro-Kopf-Vermögen in Deutschland lächerliche 82.000 Euro (West) beträgt, haben die Italiener im Schnitt 175.000 Euro pro Kopf.
Dadurch dass die Banken jedoch in enorme Schieflage geraten sind und nach Griechenland neben ESM und ESF weitere regiede Regeln beschlossen wurden die erst einmal an die Eigentümer und Sparer gehen bevor öffentliches Geld fließt, würden viele Menschen in Italien 40 Prozent und mehr ihres Vermögens verlieren. Damit ist nicht nur die private Altersvorsorge vieler Menschen weg - sondern eben auch die stille Reserve die das dort nicht flächendeckend existierende Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe ersetzt.
Zaunkoenigin am 7. Dezember 2016
danke Lars, für Ihre ergänzenden Ausführungen, die eben belegen, dass sehr wohl ein Rentensystem vorhanden ist, aber unterwandert wird. Wobei ich das so verstehe, dass es durchaus eine zweite Säule gibt, die aber (wie bei uns auch) massiv destabilisiert wird.