In Berlin dilettiert Rot-Rot-Grün

Von Volker Warkentin am 10. Januar 2017

Selten ist eine neue Koalitionsregierung so schwer aus den Startblöcken gekommen wie Rot-Rot-Grün in Berlin. Jetzt verzettelt sie sich in Nebensächlichkeiten wie den Jugendsünden eines Staatssekretärs.

Wenn die Lage nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz nicht so verdammt ernst wäre, könnte man erste Hervorbringungen des Berliner Senats unter Kuriosa verbuchen. So ging es in der ersten Presseerklärung des neuen Justizsenators von den Grünen um die Einrichtung von Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden. Ja, haben die denn keine anderen Probleme?

Zum richtigen Ärgernis hat sich die Causa Andrej Holm entwickelt. Der anerkannte Wohnungsbauexperte von der Linkspartei soll Staatssekretär bei Bausenatorin Katrin Lompscher werden. Wegen der explodierenden Mieten in der Hauptstadt kommt ihm eine Schlüsselstellung im Kampf um bezahlbare Wohnungen zu.

Holm hätte längst erste Pflöcke einschlagen müssen, um der Bauwirtschaft die Richtung zu weisen. Doch dem bekennenden Marxisten hängt seine mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegende Stasi-Tätigkeit wie ein Mühlstein um den Hals. Nicht der Fakt an sich sorgt für Streit, sondern Holms Umgang mit seinem damaligen Berufswunsch, Offizier der DDR-Staatssicherheit zu werden.

Dass er einmal hauptberuflich bei Erich Mielke anheuern würde, stand schon bei Klein-Andrej fest. Schließlich waren die Eltern bei der Staatssicherheit und gehörten damit zum proletarischen Hochadel der DDR. So einer bekommt von Kindesbeinen an die volle Dröhnung an Rotlichtbestrahlung ab. Folgerichtig trat er kurz vor dem Ende der DDR seinen Dienst bei der Stasi an, und zwar zunächst beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“.

Damit hätte es sein Bewenden haben können, zumal Holm heute einräumt, Teil des Repressionsapparates der DDR gewesen zu sein. Doch bei seiner Einstellung an der Humboldt-Universität gab er lediglich seinen Wehrdienst beim Wachregiment an und verschwieg die angestrebte Offizierslaufbahn. Die Humboldt-Universität prüft nun, ob Holm sich seine Position mit falschen Angaben erschlichen hat. Damit wäre er an der Uni nicht mehr tragbar. Und im Senat?

Pikant an der Affäre ist, dass der für die Hochschulen zuständige Wissenschaftssenator Michael Müller heißt und im Hauptamt Regierender Bürgermeister ist. Müller hat sich bislang vornehm zurückgehalten, machte am Wochenende aber auch klar, dass Holm als Staatssekretär nicht zu halten sei, sollte die Humboldt-Uni den Daumen senken. „Das sieht auch die Linke so“, ließ Müller den Koalitionspartner per „Tagesspiegel“-Interview wissen.

Müller und die Sozialdemokraten können nur hoffen, dass der Kelch Holm möglichst schnell an ihnen vorübergehen wird, die Linke ihren Kandidaten zurückzieht und jemand anderen nominiert. Denn die Stimmung im Dreierbündnis ist nach wenigen Wochen so mies wie nach fünf Jahren Rot-Schwarz.

Und die dicken Brocken liegen noch vor R2G. Als Konsequenz aus dem Anschlag am Breitscheidplatz wollen Müller und Innensenator Andreas Geisel die Videoüberwachung ausweiten. Grüne und Linke fürchten das wie der Teufel das Weihwasser. Sie träumen stattdessen weiter von Unisex-Toiletten.

Volker Warkentin ist Journalist und Autor in Berlin, außerdem Mitglied der SPD. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint dienstags.

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