Guter Mann, falsche Partei
Der Sozialdemokrat und Europapolitiker Martin Schulz fordert Angela Merkel heraus. Er könnte Erfolg haben – wären da nicht die ausgebrannten Sozialdemokraten.
Martin Schulz darf es nun machen. Kanzlerkandidat, Parteichef – so hat es Sigmar Gabriel gewollt. Der Noch-Parteichef hat seine Partei damit so konfrontiert, wie er es oft in den letzten Jahren gemacht hat: überraschend, überrumpelnd, sich an keine Absprache haltend, taktisch verheerend. Nur dass er aus freien Stücken auf eine relevante politische Karriere verzichtet, das verdient Respekt.
Nun also Martin Schulz, der Mann ohne Abitur aus Würselen.
Ein guter Mann, einer dem durchaus auch das Kanzleramt zugetraut werden kann. Jahrelang als EU-Parlamentspräsident bekannt als „Mr. Europa“. Ein überzeugter Europäer, der weiß, dass in den Zeiten von Trump und Putin, von Erdogan und Brexit Deutschland seinen Platz in der EU hat – ansonsten würde die Bundesrepublik marginalisiert, die deutsche Exportwirtschaft an protektionistischen Hürden zerrieben, die Zahl der Arbeitslosen rapide nach oben schießen.
Auch wenn er in der Exekutive nie mehr war als Bürgermeister von Würselen – Schulz hat in Brüssel und Straßburg gelernt, was Pragmatismus ist, wie man aus vielen widerstreitenden Meinungen einen Konsens zimmert. Das ist genau das, was der Chef einer Koalitionsregierung können muss. Schulz könnte Angela Merkel also gefährlich werden.
Könnte. Aber er wird es nicht, oder zumindest nicht ernsthaft. Denn Martin Schulz hat den Nachteil, dass er künftig der SPD vorstehen wird. Einer Partei, die gnadenlos ausgebrannt ist. Beispiele gefällig?
Falls Schulz nicht gewollt hätte, wer wäre dann die Hoffnung der SPD gewesen? Olaf Scholz, der Dorfschulze von Hamburg. Ein absolut integrer und kompetenter Mann, aber so dröge, dass für den SPD-Bundestagswahlkampf jeder Oberamtsrat eines ländlichen Finanzamts mindestens die gleichen Chancen gehabt hätte zu gewinnen. Und außer Scholz? Personelle Ebbe im sozialdemokratischen See.
Weiteres Beispiel gefällig? Die SPD hat in dieser Legislaturperiode ihre wichtigsten Themen umgesetzt: Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse. Dennoch kratzt sie in den Umfragen latent an der 20-Prozent-Marke. Warum? Weil sie – überspitzt gesagt – sich immer noch an die alten Arbeiterkampfthemen klammert. Und viel zu wenig auf die Themen setzt, die wirklich bewegen: Wie lässt sich Altersarmut vermeiden? Welche individuellen Perspektiven gibt es, wenn der Job durch Digitalisierung bedroht ist?
Eine Partei, die mit den Antworten von gestern auf die Probleme von morgen reagiert, der kann auch ein Martin Schulz nicht mehr helfen.
Andreas Theyssen, Autor und Berater in Berlin, begleitet SPD-Kanzlerkandidaten seit 1994.