Auch ein großer Bruder schuldet Antworten

Von Sebastian Grundke am 17. Februar 2017

Die Überwachungsoffensive der Regierung lässt manche Frage offen. Das kann zulasten etwa der Medienkompetenz kommender Generationen gehen. Zudem sind die Kameradaten kaum wirklich sicher.

Die Ausweitung der Videoüberwachung in Deutschland bringt Probleme mit sich. Denn wo Kameras installiert sind, werden beileibe nicht nur Straftäter gefilmt. In aller Regel sind es normale Menschen. So hilft die etwa für Bahnhöfe geplante, verstärkte Überwachung zwar sicherlich, Verbrechen aufzuklären. Doch den Bürgern fehlt es an Information darüber, was mit den Aufnahmen geschieht.

Zum einen landet nicht jede Aufnahme gleich bei den Behörden. Viele Orte sind längst in privater Hand, auch wenn jedermann sie betreten kann. Dies gilt nicht nur für Bahnhöfe, sondern auch für Einkaufszentren, welche oft von Unternehmen betrieben werden, die nicht nur den Sicherheitsdienst stellen, sondern eben auch für Überwachung sorgen. Zum anderen müssen sich auch deutsche Behörden die Frage stellen lassen, wie mit dem Bildmaterial zukünftig umgegangen werden soll.

Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen mit ihren Smartphones in der Lage sind, bewegtes Bild aufzuzeichnen, stellt sich die Frage dringlicher den je zuvor. Denn von dem Umgang, der von Amts wegen vorgegeben und vorgelebt wird, wird auch die Medienkompetenz zukünftiger Generationen abhängen. Wer im öffentlichen Raum überwacht, muss daher aufklären darüber, was mit den Bildern geschieht: Wie lange wird gespeichert? Wo schaut tatsächlich jemand zu, wo läuft nur ein Band mit? Unter welchen Umständen genau kann von wem auf das Material zugegriffen werden? Inwiefern darf es weitergegeben oder gar veröffentlicht werden?

Natürlich ist die Sicherheit in Deutschland wichtig. Die Privatsphäre sowie die Rechte des einzelnen sind jedoch hohe Güter. Sie dürfen nicht infrage stehen. Wo der Staat oder Privatpersonen überwachen, muss deshalb mehr her als nur ein Schild mit einem einfachen Hinweis. Wollen wir nicht, dass unsere Kinder sich mit ihren Handykameras unverantwortlich verhalten, müssen wir ihnen einen verantwortungsvollen Umgang vorleben und sie über die Grenzen und Mittel der Videoüberwachung aufklären. Dazu ist nicht nur die Presse, sondern auch der Staat, sind Schulen und andere Bildungseinrichtungen gefragt.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit Überwachungssysteme angreifbar sind: Nicht etwa durch Vandalismus, sondern durch Zugriff von außen. Hier hilft selbst ein verantwortungsvoller Umgang und die Aufklärung über denselben nicht mehr. Hier muss gewährleistet sein, dass sich nicht Unbefugte Zugang zu Aufnahmen von Scharen deutscher Bürger verschaffen können. Doch geht dies angesichts der Skandale und Leaks der Vergangenheit überhaupt? Haben nicht Hackerangriffe zum Guten wie zum Schlechten gezeigt, dass Daten in unserer vernetzten Welt nicht mehr sicher sind?

Das Parlament hat zwar ein neues Gesetz für mehr Überwachung verabschiedet und die Bahn die Installation von weiteren Kameras angekündigt. Auch von verstärkter Überwachung ausgerechnet in Schulen ist zu lesen. Die Antworten auf die Fragen, die die stärkere Überwachung im öffentlichen Raum mit sich bringt, ist der Gesetzgeber dem Bürger jedoch bislang schuldig geblieben. Diese dürfen nicht vergessen werden. Sie sind der Schlüssel für eine kluge Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft.

Sebastian Grundke, Autor in Hamburg, schreibt die OC-Kolumne „Was mich bewegt“ freitags.

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