Warum ein Donald Trump auch in Deutschland möglich ist

Von Andreas Theyssen am 23. Februar 2017

Wir amüsieren uns über ihn oder sind geschockt vom neuen US-Präsidenten. Dabei ist die Bundesrepublik gegen solch ein Phänomen wie Trump nicht gefeit.

Es kann einen sprachlos machen, was Donald Trump da abliefert. Lügen – statistisch gesehen vier pro Tag -, Richterbeschimpfung, Medienverteufelung, militärische Drohungen gegen Mexiko, Affronts gegen China, die übrigen Nato-Mitglieder schwer verunsichert. Und immer wieder ICH, ICH, ICH. So viel Chaos war nie im ersten Amtsmonat eines US-Präidenten.

Wir wundern uns: Wie konnte so ein Mann ins Weiße Haus gewählt werden? Haben die US-Wähler denn nicht vorher schon gesehen, was für ein Typ Trump ist? Wie ist so viel Irrationalität möglich?

Es ist müßig, darüber zu räsonieren – denn deutsche Wähler agieren nicht minder irrational.

Beispiel gefällig? Deutschland hat sich verändert, seit Sigmar Gabriel mit seinem Überraschungscoup Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten ausgerufen hat. Die SPD, jahrelang im 20plus-Prozent-Ghetto eingemauert, erlebt Umfragehöhenflüge, liegt in einigen Wählerbefragungen sogar vor der Union. Und Schulz selber? Hat aus dem Stand auf der Beliebtheitsskala die klassischen Politlieblinge Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier überholt.

Ist das rational? Nö, nicht im Geringsten. Die SPD ist immer noch die gleiche wie vor der Schulz-Ausrufung, mit allen Stärken und Schwächen. Wie also ist ihr Umfrage-Aufschwung zu rechtfertigen?

Und Martin Schulz? Taugt er zum Hoffnungsträger? Wohl kaum. Er ist der Prototyp jenes Europapolitikers, der massiv zum EU-Verdruss beigetragen hat. Schulz wurde dabei ertappt, wie er Sitzungsgelder kassierte, ohne an Sitzungen des EU-Parlaments teilgenommen zu haben. Er ist die Inkarnation der Vetternwirtschaft, hat jahrelang Mitarbeiter mit EU-Posten versorgt. Er schützte sogar seinen Buddy, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, indem er als EU-Parlamentspräsident einen Untersuchungsausschuss in Sachen Luxemburg verhinderte; Juncker hatte als luxemburgischer Premier und Finanzminister mit Unternehmen ähnlich fragwürdige Steuerdeals abgeschlossen wie Irland mit Apple.

Die Fälle sind seit Jahren bekannt. Doch die deutschen Wähler interessiert das nicht. Sie bejubeln Schulz wie den Heiland. Fakten? Uninteressant. Inhalte? Unnötig.

Für dieses Verhalten gibt es einen Grund. Er heißt Überdruss. Deutschland stand ökonomisch zwar seit Jahrzehnten nicht mehr so gut da, wie derzeit, aber das zählt nicht. Man möchte etwas anderes, irgendwie, Hauptsache etwas anderes. Man sucht Abwechslung, vor allem zu Merkel, die seit zwölf Jahren die Bundesrepublik verwaltet. Da kommt sogar ein Mann wie Martin Schulz gelegen. So wie der Hälfte der US-Wähler Donald Trump gelegen kam.

Schulz ist beileibe kein Trump, Gottseidank. Aber sein Höhenflug ist genauso irrational wie der Einzug des dauerlügenden Milliardärs ins Weiße Haus. Und vor allem folgt er ähnlichen Mechanismen.

Andreas Theyssen, Autor und Berater in Berlin, begleitet Bundestagswahlkämpfe journalistisch seit 1990.

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maSu am 23. Februar 2017

Ja aber die SPD kann doch per Definition gar nicht populistisch sein. Das sind doch immer nur die anderen ...

Ich fand die Interviews von Schulz bei Illner zB eklig. Der Mann labert von Gerechtigkeit. Die SPD ist jetzt seit langem an der Regierung beteiligt. Welches Projekt bzgl. "Gerechtigkeit" wollte die SPD umsetzen und wurde daran von der CDU gehindert? Keines.

Die SPD hat sogar ihre sexistischen und dämlichen Frauenquoten für Aufsichtsräte (Schwesig und Nahles wollen nach ihrem Ministerposten ja einen warmen Sessel vorfinden...) von der CDU bekommen und vieles mehr.

Aber Nachfragen von Illner, warum es denn in Deutschland so ungerecht sei und warum die SPD daran bisher(!) nichts geändert habe? Fehlanzeige.

Solch unkritische Interviews tragen enorm dazu bei, dass Schulz zu einer Lichtgestalt wird. Legendär sind ja auch die Interviews mit Merkel, die quasi aus Schleimen und netten Fragen zu ihrem tollen Sakko bestehen. Genial. Investigativer und kritischer Journalismus muss genau so aussehen!

Und die Menschen fallen darauf herein.

TGR am 23. Februar 2017

@Andreas Theyssen:
Ich muss gestehen, als ich die Überschrift las, dachte ich an einen Artikel zur AfD - falsch gedacht. Von daher eine interessante Perspektive, die den aktuellen "Schulz-Hype" in eine Linie mit dem US-amerikanischen "Trump-Hype" stellt. Danke für die gedankliche Anregung.

@maSu
Interessant, dass Ihre Kommentare mich immer wieder zur Erwiderung reizen. Hängt vielleicht mit Ihrem Stil zusammen.
Das Thema "Soziale Gerechtigkeit" wird wahrscheinlich immer ein Kernthema jeder politischen Coleur bleiben, auch wenn die Adressaten je nach Ausrichtung verschieden sind (Platt gesagt z.B.: Linke und in Teilen SPD: Arbeiter, Konservative: Familien). In diesem Sinne hatte die SPD als Juniorpartner in der CDU-geführten Regierung schon die eine oder andere Kröte zu schlucken: z.B. Reform der Erbschaftssteuer. Dafür wurde der Mindestlohn eingeführt (ein Wahlversprechen der SPD, das zügig nach Beginn der Großen Koalition umgesetzt wurde).

Und zur Frauenquote in Aufsichtsräten: naja, man könnte sagen, dass die CDU/CSU als Vorauszahlung dafür die dämliche und sexistische "Herdprämie", pardon: das Betreuungsgeld bekommen haben (ja, ja, ich weiß, das Gesetz ist nicht im Kern sexistisch, aber in der Realität sind fast 95% der Bezieher Frauen). Von daher: quid pro quo, irgendwie müssen die Frauen ja wieder in den Beruf starten, nachdem sie 10 - 20 Jahre den Nachwuchs aufgezogen haben.

maSu am 24. Februar 2017

TGR:

:)

Natürlich Quit Pro Quo. Aber: die CDU hat - meines Wissens nach - kein SPD Projekt zum Thema Gerechtigkeit verhindert, sie haben im Tausch dafür ähnlich traurige CDU Wünsche umgesetzt. Fand beides ... traurig.

Und Schulz liefert leider null Substanz. Mittlerweile sprach er sich für eine Verlängerung von ALG1 aus. Wie man das bezahlt, das sagt er nicht.
Sonst bringt er nichts konkretes. Und fragt ein kritischer Journalist nach? Nein.

Er wird hochgejubelt. Populismus in Reinform. Und scrollt man weiter, dann jammern die gleichen Journalisten über Populismus von jemand anderem.

Wasser predigen, Wein trinken.

Andreas Theyssen am 24. Februar 2017

Na ja, maSu, ganz so sieht es nicht aus. Die Zweifel an Schulz' ALG1-Vorstoß kann man reichlich etwa bei Spiegel Online oder faz.net nachlesen. Über seine Brüsseler Vetternwirtschaft berichten Spiegel und Focus. Und das sind nur die Medien, die ich gesehen habe.

Torsten Fricke am 24. Februar 2017

Frau Merkel hat alles verkauft und verraten, wofür die CDU/CSU früher eingetreten ist. ZB: Kernkraft, Wehrpflicht, soziale Marktwirtschaft, innere Sicherheit. Damit hat sie ihre Wähler in der Mitte verprellt. Eine AFD, in der Nazi-Höcke das Holocaust-Mahnmal als Schande bezeichnen darf, ist für jeden Demokraten unwählbar. Da bleiben nicht mehr viel Alternativen. Zumindest gelingt es Martin Schulz, die richtigen Themen anzusprechen.

maSu am 24. Februar 2017

Andreas Theyssen,
das ist korrekt. So langsam gibt es hier und da sanfte Kritik an der Lichtgestalt. Das ist auch bitter nötig aber ich habe es in den ersten Tagen nach der Bekanntgabe vermisst. Ich habe extrem miese Interviews bei den öffentlich rechtlichen Sendern gesehen, die bewusst unkritisch gehalten waren. Das war wieder einmal völliges Versagen dieser Journalisten. Ich hoffe, dass die Berichterstattung neutraler wird. Ich will weder Schulz "gebasht" sehen, noch "hochgejubelt". Einfach nur neutral was er will und wie(!) er es erreichen will.
Und wenn er nur von Gerechtigkeit faselt, aber keine Begründung bringt, keine konkreten Beispiele usw. dann ist das in meinen Augen keine Nachricht wert. (ebenso wie der neuste Trump-Tweet nicht immer eine Titelstory wert ist...)

Torsten Fricke:
Ja die CDU hat in der Zeit der GroKo und unter Merkel viel ihres eins konservativen bürgerlichen Profils verloren und damit auch Wähler heimatlos gemacht. Die CDU wildert bei der SPD Wählerschaft und lässt im konservativen Bereich eine Lücke, die die AfD teilweise füllt. Die AfD scheitert hier aber zum Glück, da viele Konservative eben wissen: Wer die AfD wählt, der bekommt nicht nur konservative Werte, sondern auch die Werte eines Herrn Höcke. Ohne einen extrem rechten Rand wäre die AfD meiner Meinung nach sehr erfolgreich. Und die AfD hat hier und da auch sehr kompetente Personen. Alice Weidel fand ich bisher immer sehr erfrischend und intelligent, auch wenn man ihr nicht immer zustimmen mag, was aber auf jeden Politiker zutrifft.
Zum Mahnmal der Schande ganz kurz: Der Satz von Höcke war unproblematisch, denn: Das Holocaust-Mahnmal ist ein Mahnmal der Schande. Es erinnert uns an unsere schändliche Vergangenheit. Höckes Ausdruck ist 100% korrekt und wurde irreführend wiedergegeben, was ich sehr problematisch finde, denn dadurch kann er sich wieder als Opfer der Medien inszenieren. Viel heftiger waren die 3 Minuten Gerede nach dem einen Satz ("Mahnmal der Schande"), denn dort wirbt er für eine um 180° gedrehte Betrachtung der Vergangenheit und vieles mehr. DAS ist das eigentlich widerliche an der Rede. Das "Mahnmal der Schande" ist maximal missverständlich für jene, die sich aufregen wollen(!). Der Teil danach war nüchtern und rational betrachtet viel schlimmer. Ich empfehle die Rede ganz zu anzuschauen und etwas unvoreingenommener heranzugehen. Ich war - nach dem Sichten der ganzen Rede - einfach nur unfassbar wütend, dass seine romantisierung und glorifizierung der dt. Geschichte kein Thema in den Medien war.

Allgemein:
Ich hoffe das Martin Schulz Substanz liefert und dass er nicht mehr so unkritisch gefeiert wird. Ich würde mir einen weniger populistischen Wahlkampf wünschen, bin angesichts der Tatsache, dass die Journalisten hierzulande fast flächendeckend versagen aber skeptisch ob das was wird.
Ich kann nur jedem empfehlen, die Wahlprogramme und die Personen, die sich zur Wahl stellen genau anzuschauen. Weder eine Protestwahl (AfD wählen um mal so richtig "dagegen" zu sein), noch eine Protestprotestwahl (Irgendeinen Schrott wählen, Hauptsache die AfD wird klein gehalten) ist sinnvoll. Jeder Wähler muss für sich die ideale Partei wählen. Auch wenn die Partei ggf. <5% erhält. Das ist dann eben so. Aber nur so kann eine kleine Partei diese Hürde irgendwann nehmen. Und wir haben mehr als genug Auswahl. Man muss davon nur Gebrauch machen. Dann findet jeder irgendeine Partei, die FÜR etwas steht.

Wir leben in einer Zeit, in der viele nur GEGEN etwas sind. GEGEN Trump, GEGEN Clinton, GEGEN dies, GEGEN jenes. Ich sehe zig Demos GEGEN irgendwas.

Aber so gut wie nie FÜR etwas.