Inklusion? Illusion!

Von Volker Warkentin am 18. April 2017

Um die Werte in Deutschland wie die berufliche Eingliederung von Behinderten steht es nicht überall gut. Das belegt die Antwort einer Stadtverwaltung auf die Bewerbung eines Behinderten. 

Auf seinem Gebiet ist der Mann ein Crack. Er kennt die Anforderungen des Jobs aus dem FF, spricht fließend die für seine Arbeit relevanten Fremdsprachen, ist ein erfahrener Manager und hat einige Jahre im Chefsessel einer Kultureinrichtung gesessen. Eine schwere Krankheit beeinträchtigt inzwischen seine Beweglichkeit, so dass er sich beruflich ins zweite Glied zurückgezogen hat.

Nach so einem qualifizieren Mitarbeiter lecken sich private und öffentliche Arbeitgeber die Finger – Behinderung hin oder her. Probleme bereiten allenfalls potenzielle Chefs, die in dem Bewerber einen Konkurrenten wittern. Doch die hat unser Freund oft vom Gegenteil überzeugen können, so dass es für ihn bei der Jobsuche immer gut ausgegangen ist. Und so hat er sich kürzlich in einer süddeutschen Großstadt um eine neue Stelle auf der mittleren Hierarchieebene beworben.

Die Reaktion des städtischen Personalamtes ist an Geringschätzung für behinderte Bewerber nicht zu überbieten. Ohne die üblichen Höflichkeiten wie einem Dank oder der Würdigung der Bewerbung kommen die Bürokraten mit Eiseskälte zur Sache. „Gemäß § 82Satz 2 SGB IX“ laden sie unseren Freund zu einem Vorstellungsgespräch. Dahinter verbirgt sich eine Bestimmung aus dem Sozialgesetzbuch IX, welche bei der Einstellung die Berücksichtigung von Behinderten regelt.

Doch die eigentliche Demütigung kommt noch: Als sei der Mittfünfziger ein Greenhorn, soll er sich in einem Kurzreferat von fünf bis sieben Minuten vor dem Bürokratenstadel der für ihren Reichtum bekannten Stadt präsentieren, „da Sie nach Sichtung der Bewerbungsunterlagen nicht zu engsten Bewerberkreis gehören“. Wie bitte, ein Mann mit den Erfahrungen soll wie ein Berufsanfänger tingeln gehen? Auf der Glatze Locken drehen? Oder vielleicht gleich einen Salto mortale hinlegen? Begründung: „Sie erhalten so die Gelegenheit, uns von Ihrer Eignung für die o.g. Position zu überzeugen.

Die Nachricht an alle behinderten Bewerber ist klar: Ob Ihr den Job bekommt, hängt nicht von Eurer Qualifikation oder Erfahrung ab, sondern eigentlich ist schon alles entschieden und Ihr werdet nur pro forma eingeladen, weil es das Gesetz eben so vorschreibt. Mit Rechtsicherheit oder gar Rechtstaatlichkeit hat diese abschreckende Einstellungspraxis nichts zu tun. Die gesetzliche Zusage, Behinderten bei gleicher Qualifikation den Zuschlag zu geben, erweist sich als hohle Phrase.

Das muss ein Ende haben – nicht nur im Interesse von Behinderten. Wenn Werte wie Respekt und Mitmenschlichkeit schon im Kleinen missachtet werden, wie sollen sie dann im Großen funktionieren

Unser Freund hat sich nach langem Zögern und Nachdenken entschieden, sich von seiner Einstufung als minderwertiger Bewerber nicht einschüchtern zu lassen. Er reist zum Vorstellungsgespräch. Immerhin: „Fahrtkosten erstatten wir Ihnen in Höhe eines Bahntickets zweiter Klasse“.

Volker Warkentin, ist Journalist und Autor in Berlin. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint immer dienstags.

 

 

 

 

 

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne 7 Bewertungen (4,43 von 5)

Schreibe einen Kommentar