Die Augen rechts – Wohin treibt die Bundeswehr?

Von Volker Warkentin am 2. Mai 2017

Die jüngsten Skandale zeigen: Die Bundeswehr ist ein abgeschotteter Männerbund, dessen Mitglieder auf dem rechten Auge blind sind. Aber der Truppe steht mit Ursula von der Leyen eine Frau vor, die hinsieht und handelt.

Sie sind wohl in keiner Armee der Welt auszurotten, die sogenannten männlichen Initiationsrituale. Diese oft sexualisierten Handlungen richten sich gegen junge Soldaten und Soldatinnen und verletzen deren Menschenwürde. Die zum Einschreiten verpflichteten Vorgesetzten schauen häufig weg und versuchen die Übergriffe zu vertuschen oder zu verharmlosen. „TTV – Tarnen, täuschen und verpissen“, lautet die Zauberformel, die jeder Soldat schon zu Beginn seiner Ausbildung lernt.

TTV: Das setzt sich bis nach oben fort. Lieber einen Vorfall in der Kompanie unter der Decke halten als bei den vorgesetzten Stellen Meldung machen. Sonst heißt es noch, man hat als Offizier seinen Laden nicht im Griff. Das gibt hässliche Einträge in der Personalakte und bedeutet oft das vorzeitige Ende der Karriere. Und man legt sich auch besser nicht mit seinen Unteroffizieren an, die vielfach für Übergriffe verantwortlich sind. Schließlich sorgen sie für einen reibungslosen Betrieb

Wer sich als Untergebener beschwert, überlegt sich das drei Mal, weil er den relativ offenen Dienstweg nehmen muss. Da hat man schnell den Ruf des Kameradenschweins weg. Es droht Mobbing ohne Ende. Also Zähne zusammenbeißen: War doch alles halb so schlimm.

Irgendwann kommen einige Vorfälle zum Glück doch ans Licht und sorgen für heftige Skandale, so jüngst die widerwärtigen Praktiken bei der Ausbildung von Elitesanitätern im baden-württembergischen Pullendorf. Das hat die Karrieren einiger Offiziere tatsächlich vor der Zeit beendet – eine gerechte Strafe.

Mindestens ebenso schwer wiegen die Schäden für das Ansehen der Bundeswehr. Seit sie im Amt ist, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen viel daran gesetzt, der Truppe das Image eines attraktiven Arbeitgebers zu verpassen, bei dem Arbeit und Familie gut unter einen Stahlhelm passen. Dabei hat die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (in der Truppe IBuK abgekürzt) noch viele andere Baustellen zu meistern. Da gibt es ein Transportflugzeug, das nicht so recht fliegen will und ein Schnellfeuergewehr, das nach Dauerfeuer wegen Überhitzung des Laufs nicht mehr präzise schießt. Hinzu kommen Auslandseinsätze vom Baltikum über den Balkan bis nach Afrika und Afghanistan. Und last but not least der radikale Umbau der Streitkräfte.

Ursula von der Leyen räumte inzwischen Führungsprobleme ein. „Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem, und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“, sagte sie am Wochenende zu den Vorfällen in Pullendorf, vor allem aber zu dem Terrorverdacht gegen den Oberleutnant Franco A. Getrieben von seiner rechtsextremen Gesinnung soll sich der Offizier als Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien ausgegeben haben, sein Ziel seien Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und linke Politiker gewesen.

Die Vorwürfe gegen Franco A. sind so haarsträubend. dass man sich fragt, ob sie dem Hirn eines phantasievollen Thriller-Schreibers entsprungen sind. Oder wurde der Mann von einer fremden Macht in die Bundeswehr eingeschleust? Der Militärische Abschirmdienst hat den Fall wohl verschlafen, obwohl jedem, der es wissen durfte, die Gesinnung des Mannes hätte bekannt sein müssen. Oder kommt es alle Tage vor, dass die Masterarbeit, die ein deutscher Offizier an der französischen Militär-Universität Saint-Cyr vorlegt, wegen rechtsextremer Gedanken abgelehnt wird?

Aufhorchen lässt, dass mit von der Leyen erstmals eine CDU-Politikerin die Skandale nicht als Einzelfall betrachtet. Schließlich gehört es zum traditionellen Repertoire der Unions-Parteien, die Bundeswehr pauschal gegen Vorwürfe in Schutz zu nehmen. Und auch der Bundeswehr-Verband reagierte mit seiner reflexartigen Kritik an von der Leyen wie gehabt.

Es zeugt vom persönlichen Mut der Ministerin, ausgerechnet in einem Wahljahr und vielen Widerständen zum Trotz gegen Führungsschwächen und falsch verstandene Kameraderie anzugehen. Aber Frauen waren schon immer besser darin, die von Männern hinterlassenen Trümmer wegzuräumen.

Volker Warkentin ist Journalist und Autor in Berlin. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint immer dienstags.

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