Wie ich mit Lügen Geld verdiene

Von Sebastian Grundke am 5. Mai 2017

Das US-amerikanische Browserspiel fakeittomakeitgame.com soll über Fake-News und Social Media aufklären. Dazu jedenfalls hat es die Programmiererin Amanda Warner aus Ohio in Eigenregie entwickelt. Ein Selbstversuch.

Ich heiße Paul, meine mit kostenloser Blogsoftware aufgesetzte News-Site heißt „Urban Extra“ und meinen ersten Artikel habe ich von irgendeiner Fake-News-Seite abgeschrieben. Er dreht sich darum, dass der Präsident der Vereinigten Staaten auf einer ausgedehnten Urlaubsreise Steuergelder verschwendet. Über einen gekauften Social-Media-Account habe ich den Text in einem Online-Forum platziert, deren Nutzer den Präsidenten ohnehin nicht leiden können. Sie sind entsetzt, das legen ihre Kommentare nahe, und verteilen den Text dann auch munter im Social-Web weiter. Mit Genugtuung schaue ich dabei zu, wie die Anzahl der Views und Likes und Shares steigt, genauso wie mein Kontostand: Wird der Text in sozialen Netzwerken besonders häufig geteilt, besuchen mehr Menschen meine Website, um ihn zu lesen. Und je mehr Menschen den gefälschten Artikel dort lesen, desto mehr verdiene ich. Denn natürlich habe ich Werbung auf meiner Website.

Beim Aufbauen meiner Fake-News-Site hilft mir eine freundliche junge Dame. Sie ist so etwas wie meine persönliche Fake-News-Mentorin, ein kleines Programmfeature des Games, das mir, dem Zocker, mit Fingerzeigen hilft: Sie lobt mich, wenn ein Text besonders erfolgreich ist. Sie gibt die Richtung meiner nächsten Schritte beim Aufbau meines Fake-News-Imperiums vor und erklärt mir, wie meine Texte noch spektakulärer werden: Nämlich, indem ich sie nicht mehr abschreibe, sondern selbst auf der Basis von gängigen Gerüchten und Verschwörungstheorien erfinde.

In mir sträubt sich zunächst etwas: Ich möchte gerne wahrhaftig berichten. Doch das sieht fakeittomakeitgame.com einfach nicht vor. Schließlich siegt die Lust am Spiel und bald gebe ich munter Politikern und anderen Mächtigen die Schuld an so praktisch allem und jedem und belege meine Unterstellungen mit falschen Fotos und erfundenen Zitaten. Endlich muss ich nicht mehr über die Realität aufklären, sondern kann nach Belieben das bekräftigen, was meine Leser vor lauter Sorgen um ihre Kinder, die Demokratie, ihren Glauben oder ihr Geld ohnehin schon mutmaßen. Nur meine Artikel mit süßen Katzenbildern bringen kaum etwas ein. Und mit jenem Text darüber, dass Elvis jüngst verstorben ist, habe ich wohl wirklich übertrieben.

Dennoch habe ich schon nach wenigen Wochen genügend Geld beisammen, um neue Fake-Accounts in sozialen Netzwerken mit noch mehr Online-Freunden anzulegen und eine zweite Website aufzumachen. Ich entschließe mich dabei für eine etwas teurere Aufmachung. Das steigert die Glaubwürdigkeit der zweiten Seite, die ich nun nach meinem Wohnort benenne. Schnell verschiebe ich die Hälfte meiner gut ein Dutzend Machwerke auf die neue Internetseite. Ich folge auch dabei dem Rat meines digitalen Coaches. Sie hat empfohlen, die Websites nach politischer Ausrichtung zu sortieren. So kann ich die Menschen noch mehr in Rage versetzen. Blöd nur, dass die irgendwann anfangen, aufeinander loszugehen. Bald verteilen sogar Prominente meinen Unsinn im Web weiter, was mir noch mehr Geld bringt. Dafür werden nun gelegentlich Faktenchecker auf mich und meinen Internet-Müll aufmerksam und entlarven ihn als das, was er ist. Doch was ist das schon gegen rund 250.000 Views, 750.000 Likes, noch einmal so viele Shares und entsprechend viel Geld.

Nach mehreren Stunden Spielzeit von fakeittomakeitgame.com habe ich endlich genügend Dollars beisammen, um mir ein Auto zu kaufen. Damit habe ich das Spiel auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad geknackt. Ich bin fast etwas stolz auf mich. Vielleicht spiele ich noch weiter, die erfundenen Texte bringen ohnehin immer weiter tüchtig Geld, Faktenchecks sowie Rauswürfe aus Social-Media-Groups hin oder her.

Bald frage ich mich, ob das Ganze in der Realität nicht vielleicht wirklich und viel zu oft abläuft wie im Spiel. Ich bin eine alternde Print-Seele, der Online-Journalismus am Besten gefällt, wenn er wie ein multimedial aufgemotztes, digitales Magazin daherkommt. Clicks, Likes, Shares, Views und dergleichen waren für mich immer zweitrangig. Der Verlockung der schnellen Reichweite kann ich in der Realität halbwegs wiederstehen, zumal ich frei als Journalist arbeite und nicht am Newsdesk einer Online-Redaktion. Doch vielleicht geht das anderen nicht so. Bald komme ich zu dem Schluss, dass die Presselandschaft für mich ein völlig anderes Gesicht hat als das Spiel es nahelegt. Mancher Missstand ärgert zwar auch mich oft. Bloß thematisiert das Spiel davon nur wenige. Den Online-Müll im Web, Halbwahrheiten, Lügen, Hetze und dergleichen also, habe ich jedoch immer als Spam oder politische, teilweise auch webanarchistisch motivierte Propaganda gesehen – und nie als Teil des Journalismus.

Einige Tage nach meinen Spielabenden erklärt mir die Macherin des Games im Telefoninterview, dass sie mit dem Spiel aufklären will: Sie wünscht sich, dass die Menschen allzu boulevardesken Onlinejournalismus und Schlimmeres zukünftig kritischer sehen und richtig einordnen lernen. Die Propagandawellen des Wahlkampfes von Trump gegen Clinton haben sie dazu motiviert: Vor allem die Presseberichte über arme mazedonische Teenager, die während des US-Wahlkampfes mit Fake-News ihr Geld verdienten, haben sie zu dem Game inspiriert, erzählt sie mir. Deren Geschichte klingt tatsächlich so gaga, dass sie auch der Hollywood-Komödie „Wag the Dog“ entlehnt sein könnte. Die thematisiert augenzwinkernd die Krisenpropaganda des Weißen Hauses.

Sie, Amanda Warner aus Columbus im Bundesstaat Ohio, einem Swing-State in Nordamerika, programmiert sonst Schulungssoftware, etwa für die Weltgesundheitsorganisation. Für ihr Fake-News-Game hat sie keinen Geldgeber gehabt. Sollte jemand aufspringen, würde sie wohl nicht ablehnen, wenn die Interessen sich decken, meint sie. Aus Google-Statistiken weiß sie außerdem, dass rund ein Drittel der Spiel-Nutzer aus Deutschland kommen, wo die Fake-News-Debatte zuletzt immer wieder aufflammte. Auch, erzählt sie mir, hat sie schon lobende E-Mails bekommen: von Lehrern und Lehrerinnen, die ihre Software eingesetzt haben. Ich finde: Schaden kann derlei sicherlich nicht. Als Grundlage einer Diskussion im Klassenzimmer oder Seminarraum taugt ihr Spiel. Es macht dazu noch Spaß.

Sebastian Grundke, freier Journalist in Hamburg, schreibt die OC-Kolumne „Was mich bewegt“ freitags.

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