SPD-Genossen, kommt bitte in der Wirklichkeit an
Das schmerzt doppelt: Erst verliert die SPD ihr Stammland Nordrhein-Westfalen mit Karacho an die CDU, und dann übt sich die stellvertretende Bundesvorsitzende Manuela Schwesig in Realitätsverweigerung. So ist der Weg in die politische Bedeutungslosigkeit vorgezeichnet.
Was Manuela Schwesig kurz nach Schließung der Wahllokale bei Anne Will zum Besten gab, lässt einem die Haare zu Berge stehen. Von der Union aufgeheizte „Wutbürger“ hätten die wackere Ministerpräsidentin Hannelore Kraft um ihr Amt gebracht. So war es auch von Kraft und ihrer immergrünen Bildungsministerin Silvia Löhrmann zu hören. Sie hätten den Wählern leider, leider ihre Politik nicht vermitteln können. Das heißt im Klartext: Die Bürger waren zu dumm, um die Arbeit der rot-grünen Landesregierung zu verstehen.
Kraft hatte im Wahlkampf auf ein weiches NRWir-Programm gesetzt – und sich dabei mächtig verkalkuliert. Denn das von Kraft beschworene „Wir-Gefühl“ geht auch den treusten Stammwählern verloren, wenn sie Tag für Tag im Stau stehen müssen. Die sind von selbst wütend. Die CDU muss sie dazu nicht gegen die SPD-Regierungschefin aufhetzen. Aber nicht nur in der Infrastruktur ist Nordrhein-Westfalen das Schlusslicht. Auch beim Wirtschaftswachstum, bei der Kinderarmut, im Bildungswesen und bei der Aufklärung von Straftaten hat das bevölkerungsreichste Bundesland die rote Laterne. Selbst Wohlmeinenden fällt bei solchen Zahlen nur die Bemerkung ein, NRW werde wohl unter seinen Möglichkeiten regiert. Dafür haben die Wähler SPD und Grünen eine kräftige Abreibung verpasst. Die haben sich beide Parteien auch redlich verdient.
Dass der designierte CDU-Ministerpräsident Armin Laschet es wohl nicht besser machen wird, ist nur ein halber Trost. Aber vielleicht beschert uns der CDU-Mann, dem Parteifreunde das Profil eines Holzstücks bescheinigen, aus seiner Regierungsarbeit das eine oder andere Witzchen. Das Zeug dazu hätte der Merkel-Getreue auf jeden Fall.
Und Martin Schulz? Der SPD-Kanzlerkandidat ist angezählt aus drei verlorenen Landtagswahlen hervorgegangen. Der Hype um den neuen SPD-Chef, der seiner Partei Umfragewerte in unglaublicher Höhe und16.000 neue Mitglieder einbrachte, ist nach einer beispiellosen Berg-und-Tal-Fahrt erst einmal vorbei. Ernüchterung macht sich breit. Und das vier Monate vor der Wahl des Bundestags. Es war auf jeden Fall ein schwerer Fehler, dass sich Schulz auf Bitten Krafts weitgehend aus dem Wahlkampf in seinem Heimat-Bundesland herausgehalten hat.
Jetzt heißt es, das Ruder herumzureißen. Der Wiederaufstieg ist möglich, wenn sich die Sozialdemokraten auf ihre Fähigkeit zur Erneuerung besinnen und ihren Markenkern soziale Gerechtigkeit den Erfordernissen der Zukunft anpassen. Denn die bevorstehende industrielle Revolution wird so tiefgreifend sein, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Wenn sich die SPD als Kanzlerpartei anböte, den Strukturwandel anzunehmen, ihn mit Wirtschaftskompetenz zu gestalten und ihn mit ihrer mehr als 150 Jahre alten Erfahrung im Ringen um soziale Gerechtigkeit abzufedern.
Und wo steht in Stein gemeißelt, dass die SPD das Thema Innere Sicherheit den Angst- und Panikmachern von der Union überlassen muss? Die Wähler und Anhänger der SPD haben wie alle Bürger das Recht, vom Staat geschützt zu werden. Der Staat neigt bei der Verbrechensbekämpfung zwar zu Übertreibungen und muss deshalb gebändigt werden. Aber wenn ihm das Gebiss genommen wird, kann der Staat die Bürger nicht mehr wirksam schützen. Dass er auch morgen noch kräftig zubeißen kann , ist gewiss auch im Interesse der SPD-Wähler. Und das bedeutet keinesfalls, CDU und CSU rechts zu überholen.
Volker Warkentin ist Journalist und Autor in Berlin. Er ist SPD-Mitglied- Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint dienstags.