Boykottiert die Großkotze!
Gegen absurde Ablösesummen wie im Fall Neymar ist nichts zu machen? Stimmt nicht. Die Uefa könnte etwas tun. Und wir Fußballfans haben auch unsere Möglichkeiten.
Wer sich nur ein wenig für Fußball interessiert und in sozialen Netzwerken aktiv ist, wurde in den vergangenen Tagen immer wieder mit einem Video konfrontiert. Es zeigt den Freiburger Trainer Christian Streich auf einer Pressekonferenz. Befragt nach seiner Beurteilung des 222-Millionen-Transfers von Neymar vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain (PSG) schweigt er zunächst und liefert dann eine für ihn fast schon typische, moralische Antwort in tiefstem Alemannisch. Allerdings spricht aus ihr nur große Ratlosigkeit.
Eigentlich hatte sich die Uefa für solche Situationen einen Verhaltens- und Strafkatalog zugelegt: Financial Fairplay. Das besagt, einfach ausgedrückt, dass kein Verein mehr Geld ausgeben darf als er auf normalem Wege – also mit Fernsehgeld, Ticketverkauf, Merchandising und Transfererlösen – einspielt. Und tatsächlich, es hat in den vergangenen vier Jahren ein paar Fälle gegeben, in denen Strafen verhängt wurden. Meist gegen kleine Klubs, zweimal aber auch gegen Riesen der Branche: Manchester City (im Besitz einer herrschaftsnahen Holding aus Abu Dhabi) und PSG (im Besitz einer Staatsholding aus Katar).
Beide Scheichklubs kamen 2014 mit einer Geldstrafe davon. Der Pariser Verein etwa hatte 60 Millionen Euro zu blechen – das fand PSG-Chef Nasser Al-Khelaifi so putzig, dass er sich darauf hin gleich noch den Brasilianer David Luiz vom FC Chelsea holte. Einen Innenverteidiger. Für 50 Millionen Euro. Nicht weil er ihn brauchte. Sondern weil er es konnte. Dieser neuerliche Verstoß blieb ungesühnt.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar: Das einst von Uefa-Präsident Michel Platini ersonnene Fair-Play-Regelwerk war Makulatur. Am Ende, kurz bevor er wegen anderer Dinge zurücktreten musste, glaubte der Franzose selbst nicht mehr an diese Sache. Und auch in Deutschland melden sich nach dem Neymar-Transfer Leute, die das alles irgendwie okay finden. Ausnahmekünstler seien eben jedes Geld wert, findet etwa Lothar Matthäus. Was die Kunst betrifft, reihte sich Neymar in Barcelonas Traumsturm allerdings hinter Messi und Suarez ein – sollte man für die dann gleich eine Milliarde zahlen? Oder Fredi Bobic, der als Sportvorstand von Eintracht Frankfurt die Nahrungskette vom unteren Ende her kennt. Er beschwichtigt, das Geld sei ja schlicht da, es „wird nichts geklaut“. Stimmt, das Geld ist da. Aber es kommt nicht aus dem Fußball. Und nicht geklaut? Da sollte Bobic mal die Bauarbeiter im Sklavenhalterstaat Katar fragen. Ist ja schließlich dieses Scheichtum, das Neymar gekauft hat. Und dem es auch gar nicht um Fußball geht, sondern um Außenpolitik in Zeiten des Boykotts durch andere arabische Diktatoren.
Man muss nicht so naiv sein wie Matthäus oder Bobic, aber vielleicht so defätistisch wie der Freiburger Trainer Streich. Obwohl, wenn Europas Fußball es wollte, dann wäre diese Entwicklung zu stoppen. Die einfachste Maßnahme: Aussperrung statt Geldstrafe. Das Regelwerk des Financial Fairplay sieht solche Sanktionen durchaus vor. Ein oder zwei Jahre Ausschluss von europäischen Wettbewerben bringen jeden Scheich zum Umdenken, garantiert. Dass ihr güldenes Zirkuspferdchen Neymar statt gegen Real Madrid, Chelsea oder Bayern dann nur gegen Guincamp, Caen oder Lorient vor einer Handvoll Zuschauer und nahezu unbeachtet vom globalen Fußballinteresse in der französischen Provinz kickt, wäre ihnen dann vielleicht doch keine 600 Millionen Euro wert. Denn so viel kostet das Gesamtpaket Neymar.
Klingt also recht einfach – so einfach, dass sich die Frage stellt, warum es nicht durchgezogen wird. Und da wären wir bei den Machtverhältnissen in der Uefa. Bei den Verwicklungen von Verbandsspitze und Golf-Potentaten. Und bei der Intransparenz und Korruption, die diesen Verband prägen. Kein Wunder, dass es bis heute zum Neymar-Transfer noch keinen Kommentar gibt aus den Reihen des europäischen Fußballverbands. Da wird wohl auch nichts mehr kommen. Und es wird wohl auch nichts passieren, wenn Katar/Paris sich jetzt auch noch das Juwel Kylian Mbappé vom AS Monaco holt. Der Scheich ist bereit, für den 18-Jährigen weitere 180 Millionen Euro auszugeben, heißt es.
Als Fußballliebhaber würde man gerne ein optimistischeres Bild malen. Mit mehr Zuversicht in die Zukunft dieses zauberhaften Sports blicken. Geht aber im Moment nicht. Damit sich das wieder ändert, kann jeder aber selber etwas tun: Sky-Abo abbestellen, Eurosport und Dazn gar nicht erst bestellen, Stadionbesuche meiden, Merchandisingprodukte verschmähen. Übrigens: Beim Regionalligaklub um die Ecke wird auch ganz ansehnlicher Fußball gespielt.
Axel Kintzinger, Autor in Hamburg, war Sportchef der „Financial Times Deutschland“ und arbeitete zuvor unter anderem für „Stern“, „Focus“ und taz. Heute ist er Co-Inhaber der Kommunikationsagentur TOE-KOM.
Franz Müller am 10. September 2017
Ich kann mich diesem Kommentar nur ohne jede Einschränkung anschließen. Verblüffend finde ich, dass es offenbar Leute gibt, die ganz anderer Meinung sind Durchschnittsbewertung nur 3.88 von 5), die es aber offensichtlich nicht für nötig erachten, ihre Meinung auch argumentatorisch zu vertreten.