Männer, lasst die Frauen ran

Von Christian Nürnberger am 26. September 2017

In den Stunden nach der Wahl haben die Politikerinnen die bessere Figur gemacht als die Alphatier-Kerle. Deshalb sollen sie an die Macht – und Jamaika machen.

Männer, lasst die Frauen ran. Ich habe in den letzten 24 Stunden vier Frauen gesehen, die sich so verhielten, wie sich vernünftige Menschen verhalten. Katrin Göring-Eckardt, die mit ihrer Partei im Wahlkampf von den Medien und Demoskopen totgesagt worden war und deshalb häufig wie ein Häufchen Elend wirkte, erschien nach dem besser als erwarteten Wahlergebnis wie verwandelt. Ruhig, souverän, demütig und doch bestimmt absolvierte sie das Laberrunden-Marathon. Sie könnte zu einer prägenden Figur einer Jamaika-Koalition werden.

Ebenso ruhig und gefasst Manuela Schwesig, desgleichen Katja Kipping.

Und dann die Kanzlerin. Sie hat verloren, ja, aber, sagt sie, das sei für sie kein Grund, jetzt plötzlich für falsch zu halten, was sie vorher die ganze Zeit für richtig gehalten hat.

Dagegen die Alphatier-Kerle, allen voran Horst Seehofer, angstschweiß-durchtränkt, weit entfernt davon, die Schuld für das Debakel bei sich selbst zu suchen, schiebt er sein armseliges Scheuerlein vor und seinen Spitzenkandidaten Herrmann, der es nicht einmal in den Bundestag geschafft hat. Zwei, drei Jahre lang hat Seehofer seine Partei mit Fundamentalopposition gegen die eigene Regierung auf die Bäume getrieben, die „Obergrenze“ zum geheiligten Dogma erklärt, kurz vor der Wahl plötzlich als bester Freund der Kanzlerin herumgeschleimt, und jetzt markiert er schon wieder den wilden starken Mann und betet seine Obergrenzen-Litanei herunter – und macht, was fast alle, die sich für ausgebuffte Profis halten, immerzu machen: Statt wie die Kanzlerin zu sagen, das sind meine Überzeugungen, und an denen halte ich fest, sagt er, wir hätten den AfD-Wählern noch viel mehr nach dem Munde reden sollen, als wir es getan haben, dann wäre unser Wahlergebnis besser ausgefallen. Und sagt damit: Das, was richtig ist in der Politik, spielt keine Rolle, Überzeugungen sind wurscht, worauf es allein ankommt, ist, das Fähnlein rechtzeitig ganz hoch in den Wind zu halten, denn das oberste Ziel ist nicht, für das Richtige und Vernünftige zu kämpfen und dafür notfalls Niederlagen inkauf zu nehmen, sondern das oberste Ziel ist, die Macht zu erringen, sie zu erhalten und sie auszubauen. Was man dann mit dieser Macht macht, ist total egal. So geht Alphatier-Politik.

Sie hängen mir zum Hals heraus, diese Alphatier-Dinos. Sie gehören in den Zoo, in den Urwald oder ins naturhistorische Museum, aber nicht in die Politik, nicht in die Vorstandsetagen. Je älter ich werde, desto unerträglicher erscheinen mir diese Reptilienhirne mit ihrem beschissenen Macho-Gehabe.

Und unser Schulz, der sich während des Wahlkampfs gegenüber der Kanzlerin wie ein Gentleman verhielt, fing plötzlich in der Elefantenrunde an, zu holzen und Wahlkampf zu machen, läuft seit der Wahlnacht rum wie ein Wahlsieger und macht seine Partei schon wieder so besoffen wie einst, als er den Parteivorsitz übernommen hatte, aufstieg wie ein Adler, und aufschlug wie ein Suppenhuhn. Wahrscheinlich ist er von dem Aufschlag so betäubt, dass er die Realität noch nicht richtig wahrgenommen hat.

Darum: Macht Jamaika. Lasst sie nicht an Seehofer scheitern. Lasst ihn auf seinem Baum hocken, und schickt nicht Söder oder Weber oder gar Guttenberg vor, sondern Ilse Aigner. Sie ist keine besondere Leuchte, aber sie ist zu vernünftigem Denken und anständigem Verhalten fähig. Lasst es die Frauen machen.

Und, alles in mir sträubt sich, das zuzugeben, aber es muss gesagt werden: Der Lindner war auch gut. Also Frauen, nehmt den Bubi in eure Mitte, und macht was Vernünftiges aus Jamaika.

Und, liebe Genossen, werdet nüchtern. Holt endlich nach, was ihr seit vier Legislaturperioden unterlassen habt: ernsthaft und radikal wahrhaftig die Frage zu klären, warum euch keiner mehr will, euch keiner mehr was zutraut und keiner mehr etwas Besonderes von euch erwartet.
Andrea Nahles als Fraktions-Chefin wird auch keine Erlösung bringen, aber sie ist schon mal ein guter Anfang.

Christian Nürnberger, Autor in Mainz, arbeitete unter anderem für „Frankfurter Rundschau“, „Capital“ und „Süddeutsche Zeitung“. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien „Die verkaufte Demokratie. Wie unser Land dem Geld geopfert wird.“

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