30 Jahre Deutsche Einheit – Noch immer geht ein tiefer Riss durchs Land
Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist Deutschland ein zutiefst gespaltenes Land. Die Parteienlandschaft zerfällt, Ost und West sind sich fremder denn je. Das gefährdet Wohlstand und Demokratie.
„Deutsche, seid Ihr völlig übergeschnappt?“, möchte man beim Blick auf das Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl ausrufen. Eine rechtspopulistische Partei, die schwarz-braune Pest der Ausländer-raus-Mentalität und der Demokratie-Verächter, ist in der obersten Volksvertretung angekommen. Es ist damit jene „Normalität“ eingetreten wie in Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Dänemark oder Schweden. Doch die berechtigte Hoffnung, dass die AfD sich bald in Machtkämpfen selbst lähmen wird, darf über eines nicht hinwegtäuschen: Die Populisten können mit ihrer EU-Feindlichkeit die dringend notwendige Reform der Europäischen Union behindern. Das aber kann sich Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas und als Export-Weltmeister nicht leisten.
Schon jetzt wird deutlich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die führende Rolle in der EU an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron verloren hat. Mit seinem Vorstoß zur weiteren Verfestigung der Europäischen Union hat er Merkel in die Defensive gedrängt. Daran wird sich auch so bald nichts ändern, denn die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU sowie FDP und Grünen werden sich mindestens bis Weihnachten hinziehen. Weitere Monate werden vergehen, ehe die Minister der Jamaika-Koalition einigermaßen sattelfest in Brüssel agieren können. Ohnehin ist zu erwarten, dass CDU und CSU beim Thema Europa auf der Bremse stehen werden. Denn die AfD hat mächtig bei Christdemokraten und -sozialen gewildert.
Die schweren Verluste der CSU machen deutlich, dass nicht nur durch Ost und West ein tiefer Riss geht, sondern durch die gesamte Gesellschaft. Die AfD hat Ihre Hochburgen zwar unverändert östlich der Elbe. Gleichwohl haben die Rechten auch in westdeutschen Regionen mit einem hohen Ausländeranteil Zugewinne erzielt.
Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings erhöhter Handlungsbedarf im Osten. Vor allem Sachsen – wo die AfD die CDU als stärkste politische Kraft abgelöst hat – muss sich etwas einfallen lassen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich scheint mit seinem gebetsmühlenartigen Ruf nach einem Rechtsschwenk nicht begriffen zu haben, dass die Menschen dann weiter das Original AfD und nicht die Kopie CDU wählen werden. Hinzu kommt eine höchst bedenkliche Affinität der sächsischen CDU zu AfD und NPD. Hier ist eher klare Kante gefragt, und zwar auch gegen CDU-Funktionäre, die auf dem rechten Auge blind sind.
Es ist schwer nachzuvollziehen, warum die Ostdeutschen so wenig Vertrauen in die eigene Kraft zeigen und trotz eines niedrigen Ausländeranteils in ihren Ländern so xenophob reagieren. Die Menschen zwischen Rügen und dem Elbsandsteingebirge haben mit ihrem Mut das SED-Regime gestürzt und allen Rückschlägen zum Trotz Beachtliches geleistet. Wirtschaftlich geht es ihnen so gut wie noch nie.
Das Problem scheint eher ein psychologisches zu sein. Viele Ostdeutsche haben das Gefühl trotz allen Engagements nur zweitklassig zu sein. So hat beispielsweise kein Dax-Unternehmen seinen Sitz im Osten. Strategische Entscheidungen – mit gravierenden Folgen für die Region östlich der Elbe -fallen im fernen Westen an irgendeinem grünen Tisch.
Und bestimmt täte es dem Selbstbewusstsein der Menschen gut, wenn neben dem umstrittenen RB Leipzig ein oder zwei weitere ostdeutsche Vereine in der 1. Fußball-Bundesliga spielten.
Volker Warkentin ist Autor in Berlin. Seine OC-Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint dienstags.
Friedrich - Wilhelm am 6. Oktober 2017
Was soll der Unsinn? Noch nie etwas von SDachlichkeit gehört?