Nach Jamaika – kein Hauch von Weimar
Seit dem Scheitern von Jamaika weht ein Hauch von Weimar durch das Land. Doch der fehlgeschlagene Versuch, ein bürgerliches Vier-Parteien-Bündnis zu bilden, zeugt noch nicht vom bevorstehenden Zusammenbruch der Republik. Jetzt ist die Stunde des Parlaments.
Zugegeben: Der abrupte Ausstieg der Freien Demokraten aus den Sondierungen mit CDU/CSU und Grünen ist ärgerlich. Die Entscheidung des jungen Parteichefs Christian Lindner sorgt für ein gewisses Maß an Instabilität, die in Deutschland ungewohnt ist. Dafür können die Menschen der FDP bei einer Neuwahl die Quittung präsentieren. „Die gehören weggeharkt“, knurrte SPD-Kanzler Helmut Schmidt 1982 nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition über die FDP.
Natürlich wäre es für das kriselnde Europa wünschenswert, eine mit einem frischen Parlamentsmandat ausgestattete Bundesregierung könnte gemeinsam mit Frankreich rasch Pflöcke gegen den Anti-EU-Populismus einschlagen. Aber dafür braucht es nicht unbedingt eine neue Bundesregierung. Deutschland hat eine pro-europäische Regierung. Der haftet zwar das Etikett „geschäftsführend“ an, doch sie ist voll arbeitsfähig, wovon nicht zuletzt der Bonner Klimagipfel und die Aktivitäten von SPD-Außenminister Sigmar Gabriel zeugen.
Vor allem aber hat Deutschland einen Bundestag, der arbeiten kann und ein frisches Mandat besitzt. Die 700 Abgeordneten haben die historische Chance, im Verhältnis zur Bundesregierung klarzustellen, wer Koch und wer Kellner ist. Das Parlament müsste sich nur zum Handeln aufraffen, seine Arbeitsfähigkeit als Institution unter Beweis zu stellen. Pause „isch over“, Herr Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im Gezerre um Jamaika deutlichgemacht, dass er von dem bisschen Macht, das ihm das Grundgesetz bei der Regierungsbildung einräumt, klug Gebrauch machen wird. Verglichen mit manchen Vorgängern im Amt mag Steinmeier ein wenig grau wirken. Doch in der Krise steht er bisher wie ein Fels in der Brandung für Sicherheit und republikanische Festigkeit.
Volker Warkentin lebt und arbeitet als Autor in Berlin. Seine Kolumne „Warkentins Wut“ erscheint dienstags.