Facebook und Twitter delegieren ihre Verantwortung an die User

Von Sebastian Grundke am 23. März 2018

Warum man juristische Kenntnisse haben sollte, wenn man gegen Hatespeech in sozialen Medien vorgehen will.

Die Kapitulation der sozialen Medien vor Hassrede ist mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz perfekt. Die Zeche für das Versagen von Staat und Unternehmen zahlt der Bürger.

Für Nutzer von Twitter und Facebook ist es mit der Implementation des Netzwerkdurchsetzungegesetzes schwieriger geworden, Missbrauch der Kommentarfunktionen zu ahnden. Die Plattformen haben zwar umfassendere Beschwerdeformulare integriert. Diese mahnen jedoch insbesondere die rechtliche Tragweite des Beschwerens an: So warnt etwa Twitter explizit davor, dass falsche Angaben zu einer Sperre für diejenigen führen können, die die Beschwerdefunktion ungerechtfertigt benutzen.

Das klingt zunächst plausibel. Zudem müssen die User aber detaillierte Angaben dazu machen, welches Recht genau sie im Falle von Hatespeech berührt sehen. Das festzustellen sollte eigentlich Aufgabe der Seitenbetreiber sein. Doch die haben die Verantwortung an die User abgegeben. Ohne anwaltlichen Rat also lässt sich Hassrede auf Twitter nur noch auf eigenes Risiko verfolgen. Am Ende kann sonst eben die Sperre des eigenen Accounts stehen.

Webseitenbetreiber und Staat haben also vor der Menge an Hass kapituliert und überlassen es der Zivilgesellschaft, Ordnung herzustellen und gegen Hetze, Anfeindungen, ideologischen Giftmüll und Verschwörungstheorien vorzugehen. Ob die Rechnung aufgeht, ist offen. Wahrscheinlich ist, dass die wichtige Regulationsfunktion durch die Nutzer zu einer Option für Anwälte degeneriert.

Bei Facebook kommt die Implementation gefühliger daher. Hier wird sofort auf mögliche Notfälle verwiesen. Aber auch Facebook spielt den Ball und damit auch Verantwortung zurück an den Nutzer: Wer etwas Illegales oder Gefährliches beobachte, solle die Behörden informieren, heißt es bei dem sozialen Netzwerk sinngemäß. Auch das ist erst einmal einleuchtend, wirkt aber auf den zweiten Blick dann doch seltsam. Bei Live-Schalten zu Geiselnahmen durch die Geiselnehmer bitte die Polizei rufen, hätte dort auch stehen können. Von Verantwortung der Seitenbetreiber keine Spur!

Deren Vorgehen widerspricht zudem der Idee der Verbreiterhaftung, der ansonsten Medienunternehmen unterliegen. Sie müssen regelmäßig prüfen, ob auf ihren Seiten – auch in den Userkommentaren – gegen geltendes Recht verstoßen wird. Sie sind außerdem gehalten, auf Umgangsformen acht zu geben. Auch insofern ist die Handhabe der Webseitenbetreiber also fragwürdig.

Bemerkenswert ist noch, dass die Nische, die durch das Versagen des Staates und der Inhaber der Plattformen beim Umgang mit Hassrede geschaffen wurde, offenbar attraktiv ist. Schlagzeilen machte etwa das noch junge US-amerikanische Start-Up „Kialo“, das eine offene und vernunftgeleitete Diskussionskultur bieten möchte. Es kommt wie eine Mischung aus Online-Mindmapping-Tool, Diskussionsplattform und Meinungsseite daher. Längst ist die Firma auch mit einer Niederlassung in Deutschland vertreten. Noch muss sich aber zeigen, ob andere Konzepte gegen Hatespeech immun sind, sie vielleicht sogar bekämpft.

Dass der aktuelle Zustand auf Facebook und Twitter noch zurückgedreht werden kann, ist jedenfalls unwahrscheinlich. Allzu lange haben Medien, Politik und Netzaktivisten schon miteinander um einen angemessenen Umgang mit allem Trolligen gerungen. Ärgerlich, dass am Ende mal wieder die Zeche der Bürger zu zahlen hat.

Sebastian Grundke ist freier Journalist in Hamburg. Er schreibt die Kolumne „Was mich bewegt“ freitags.

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Franz Müller am 18. April 2018

Die Frage ist: Was wollen Sie eigentlich? Wie hätten Sie's gerne?
Ich will nicht, dass private Plattformen Meinungsäusserungen von wem auch immer zensurieren, es sei denn, der illegale Charakter ist ABSOLUT OFFENSICHTLICH (etwa bei Hoocaust-Leugnung u. dgl.).

Wenn jemand etwas von sich gibt, was strafbar ist, dann ist es Sache der Behörden, das zu ahnden. Alles andere öffnet der Willkür Tür und Tor. Wir brauchen keine selbsternannten Meinungshüter, nicht einmal, wenn sie Grundke heissen unnd die Wahrheit gepachtet haben.

Angela merkelt am 20. April 2018

Hier mal ein Beispiel für ein Facebook-Posting von mir, das gelöscht wurde:

"Ich bin ein Nazi - und das ist auch gut so!

Das ist der Leitspruch einer neuen Bewegung gegen Verblödung durch politische Korrektheit und Gutmenschentum."

Darunter setzte ich einen Link zu einem Artikel über Margot Käßmanns unsägliche Kirchentags-Äußerungen über Menschen mit vier deutschen Großeltern und ihr "Da weiß man, woher der braune Wind weht." Es war das übliche AfD-Bashing von Kirchen-Pharisäern.

Es war also mehr als erkennbar, daß mein Nazi-Coming-Out ironisch und satirisch gemeint war. Noch klarer ging das aus vorherigen Postings hervor, die sich alle irgendwie auf das perverse Gutmenschentum und die Nazi-Paranoia unserer Tage bezogen.

Nach so einer Löschung öffnet sich ein Dialog, wo der Facebook-Nutzer Feedback geben kann. Trotz der dortigen Erklärungen meinerseits blieb das Posting gelöscht.

Wir leben zwar noch nicht in der DDR. Aber sind auf gutem Wege dahin.

Leider ohne all die sozialen Errungenschaften dieses "Unrechtsstaates".