Was der Ex-FBI-Chef wirklich enthüllt

Von Axel Reimann am 17. April 2018

Der Hype um das neue Buch von James Comey basiert auf einem Missverständnis: Er hat kein Enthüllungsbuch über Donald Trump geschrieben. In Wirklichkeit ist es ein Bewerbungsschreiben an ein anderes Amerika.

Das Kinderspiel „King of the Hill“ ist ganz einfach: Ein Spieler steht oben auf einem kleinen Hügel oder Erdhaufen und muss versuchen, die wegzuschubsen, die auch auf den Hügel wollen. Wer es schafft, den alten König von der Spitze zu drängen, wird neuer König. Und so weiter. Ein Nullsummenspiel, ein Spiel für Egomanen.

Der Stolz der Macht sei wie das Kinderspiel „King of the Hill“, hat James Comey, der von US-Präsident Donald Trump gefeuerte FBI-Chef, einst geschrieben. Menschen klammerten sich an der Spitze fest, in der Hoffnung, dass sie die Macht, die sie so gewinnen, sicherer werden ließe. Comey war da gerade 21 Jahre alt, Student am College of William and Mary in Virginia und verglich in seiner Abschlussarbeit die politische Ethik zweier amerikanischer Theologen. Der eine, Reinhold Niebuhr, war lange Zeit der einflussreichste Theologe der USA, intellektuelles Aushängeschild des sogenannten christlichen Realismus, einer, der sein Leben lang skeptisch blieb, was den moralischen Anspruch von Politik angeht, aber einer, der der Politik „die traurige Pflicht zur Etablierung von Gerechtigkeit in einer sündigen Welt“ aufbürdet. Der andere war Jerry Falwell, Fernsehprediger und Spiritus Rector der Religiösen Rechten in den USA. Einer, der sich nach einem „mächtigen Mann“ sehnte, nach weniger Staat, niedrigeren Steuersätzen und mehr Rüstung.

Die Sympathien des jungen Comey waren klar verteilt: Niebuhrs Einsichten „sollten von jedem aufstrebenden Staatenlenker gelesen werden“, dem Amerika-zentrierten Fokus des Fernsehpredigers fehle dagegen der größere Horizont. Und auch eine Warnung zieht der junge Comey aus der Niebuhr-Lektüre: Wenn unsichere Männer Sicherheit durch Macht anstreben, geht das meist auf Kosten anderer.

Zur gleichen Zeit, ein paar Hundert Meilen weiter nördlich von Comeys College, baut damals einer Stockwerk um Stockwerk an seinem ersten eigenen Denkmal. Mit viel Gold und Marmor, alles soll besser und teurer und schöner werden als bei der Konkurrenz, nur die polnischen Schwarzarbeiter bekommen weniger als den Mindestlohn. Am Schluss hat der Trump Tower 58 Stockwerke, ist 202 Meter hoch, ganz oben will der „King of New York“ selbst einziehen.

Inzwischen ist der King of New York Präsident der Vereinigten Staaten, und – im Unterschied zu seinem Vorgänger – zählt Donald Trump die Niebuhr-Exegese bisher nicht zu seinen Leidenschaften. Das wird sich zwar nicht mehr ändern, aber der US-Präsident bekommt gerade die Leidenschaft eines Niebuhrianers zu spüren. Die seines im vergangenen Mai geschassten FBI-Chefs. Von einem, der bei Twitter eine Zeit lang inkognito als „Reinhold Niebuhr“ firmierte.

Schon Wochen vor dem Veröffentlichungstermin war Comeys Buch  „Größer als das Amt“ (engl.: „A Higher Loyalty“) an die Spitze der Bestsellerlisten gerückt, Tickets für Comeys Buchtour werden für hohe dreistellige Beträge verkauft. Der Medienhype um Comeys Buch hat Amerika fest im Griff – groß ist der Hunger nach strahlenden Helden, nach prinzipiengestärkten Demokratie- und Rechtstaat-Verteidigern. Wenn so einer dann auch noch ein Enthüllungsbuch über das dunkle Imperium schreibt, dann ist die Aufregung (und die Nachfrage) groß. Ist das also tatsächlich ein „Insider-Bericht über politische Machenschaften und das von Donald Trump korrumpierte System“, wie der Verlag wirbt? „Aktuell, brisant und spannend wie ein Krimi.“

Noch vor einigen Wochen drohte James Comey dem US-Präsidenten via Twitter, dass „das amerikanische Volk sehr bald meine Geschichte hören wird“. Und dann könnte es „selbst entscheiden, wer ehrenhaft ist und wer nicht“. Mehr Drama geht nicht. Ein perfekter PR-Sturm für die Erinnerungen eines entlassenen Regierungsbeamten. Und im jetzt mit dem Bucherscheinungstermin begonnenen Interviewreigen legt Comey kräftig nach: „Moralisch ungeeignet“ sei Trump für das Präsidentenamt; es sei möglich, dass Russland etwas gegen Trump in der Hand halte; es sei möglich, dass der US-Präsident die Justiz behindert habe. Und so weiter.

Fakt ist: Natürlich hat James Comey kein Enthüllungsbuch über Donald Trump geschrieben. Wer geglaubt hat, dass der ehemalige Chef der amerikanischen Bundespolizei tatsächlich aus dem Nähkästchen plaudert, laufende Ermittlungen gefährdet, während seine Ex-Kollegen wahrscheinlich den größten Fall ihres Berufslebens aufklären und von der eigenen Regierung dafür angegriffen werden, wird ernüchtert von diesem Buch.

Sicher, da sind jene Passagen, mit denen die Nachrichtenmaschine gefüttert wird: Comeys farbige Erinnerungen an seine Trump-Begegnungen („Sein Gesicht hatte einen leicht orangefarbenen Teint mit hellen Halbmonden unter den Augen. Ich nehme an, er trägt eine Schutzbrille, wenn er ins Solarium geht.“); sein Vergleich des trumpschen Führungsstils mit dem der Organisierten Kriminalität („…lauter Dinge aus meiner Anfangszeit als Antimafia-Ermittler waren plötzlich wieder da. Der Schweigekreis des Einverständnisses. Der Boss mit der absoluten Kontrolle. Die Treueschwüre. Die Weltanschauung nach dem Prinzip »Wir gegen Die«. Die Lügerei über alles, egal wie groß, im Dienst irgendeines Loyalitätskodex, der die Organisation über die Moral und über die Wahrheit stellt.“); oder Comeys Rechtfertigung für sein Vorgehen in der E-Mail-Affäre von Hillary Clinton, das möglicherweise die Wahl zugunsten von Donald Trump beeinflusst hat („Ich habe das Dilemma mit Hillary Clintons E-Mails unzählige Male in Gedanken durchgespielt… [ich] würde mich, ließe die Zeit sich zurückdrehen, wieder ganz genauso verhalten – weil mir in Anbetracht meiner Rolle und dessen, was ich damals wusste, nichts anderes möglich war.“).

In Wirklichkeit aber sind die jüngsten Ereignisse der amerikanischen Politik nur ein Auslöser für den Moralisten James Comey, ein Buch über Führungsethik zu schreiben. Das eigene Berufsleben bildet dabei den Erfahrungshorizont, der vom Mafia-Jäger und Anwalt über das Amt des Stellvertretenden Justizministers unter George W. Bush bis zur Spitze des FBI reicht. Immer geht es um die Frage, wie verantwortliches Handeln aussehen kann – gemessen an Prinzipien, die „größer als das Amt“ (oder die eigene Person) sind. An der Wahrheit zum Beispiel. Trump ist dabei nur ein besonders wertvolles pädagogisches Gegenbeispiel. „Wenn es also je einen richtigen Zeitpunkt gab, in dem das Nachdenken über einen ethisch integren Führungsstil von Nutzen sein könnte, dann genau jetzt.“

Und noch etwas versucht Comey mit seinem Buch: Er will einer verstörten Nation Vertrauen in die Institutionen der Republik zurückgeben, und die Hoffnung pflanzen, dass aus dem politischen Flächenbrand etwas Besseres erwachsen kann. Er ist – ganz in der Tradition Reinhold Niebuhrs – ein pessimistischer Optimist. Mit einem Sinn für Humor und für die Ironie der Geschichte.

Wer das ultimative Enthüllungsbuch über die größte politische Krise der USA seit dem Bürgerkrieg erwartet hat, wird von James Comeys Buch enttäuscht werden. Ehrlicher (aber nicht lukrativer) wäre es gewesen, wenn Autor und Verlag zugegeben hätten, was das Buch wirklich ist: Ein Erbauungstraktat über Ethik für Führungskräfte, gespickt mit Anekdoten aus dem Leben eines Top-Juristen. Eine deftige Ohrfeige für den Präsidentendarsteller im Weißen Haus und seine Apologeten. Eine sublime Rückbesinnung auf die Einsichten Reinhold Niebuhrs. Vor allem aber ist das Buch ein Rechtfertigungsschreiben an ein tief gespaltenes Land, dem das Verständnis für das eigene Rechtssystem abhanden gekommen ist. Und vielleicht sogar eine Bewerbung, selbst irgendwann King of the Hill zu werden.

Axel Reimann ist freier Journalist in Hamburg. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Goatonomics – how our faith determines our share of the roast“.

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